Pan

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Keyword: Pan

Links: Aggression, Angst, Bios-Prinzip, Flöte, Phallus, Sexualität, Teufel

Definition: Pan (grch. der Weidende, der Hirte). Ursprünglich war Pan in Arkadien, den rauen Alpen Griechenlands, beheimatet, höchster und ältester Schutzgott eines Volkes von Hirten und Jägern.

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Information: „Der grosse Pan ist tot!“, klagte nach Plutarch (45-120) auf Geheiß einer unbekannten göttlichen Stimme der ägyptische Steuermann eines nach Rom fahrenden Handelsschiffs. Dies geschah zurzeit des Kaisers Tiberius, des Nachfolgers von Augustus (63 v. -14 n. Chr. ). Plutarch berichtet, die Gelehrten am Kaiserhof in Rom hätten darüber disputiert und seien zum Schluss gekommen, der große Pan sei der Gott, der 490 v. Chr. den Athenern zum Sieg bei Marathon über die Perser verholfen habe.

Pan war ein Gott der wilden Natur. Neben seiner beschützenden hatte er eine unheimliche Seite: Er brachte Menschen und Tiere in Panik; von ihm kam der panische Schreck. Antike Historiker berichten, wie Pan mit seinem (von jedem Offizier heute noch gefürchteten) phobos panikos ganze Heere durcheinander wirbelte. Pan ist verwandt mit dem indonesischen Amok (melan. amuk: blindwütend), aber auch mit der Kriegswut Wotans, um derentwillen die alten Eidgenossen so gefürchtet waren. Wie diese, so galten auch die Bewohner Arkadiens im Altertum als urtümlich, naturverbunden, unzivilisiert und konservativ.

Von den Urschweizern behauptete Hartmann Schedel in seiner Weltchronik von 1493, sie rißen ihren Feinden in der Schlacht mit den Zähnen das lebendige Herz aus dem Leib und schichteten hernach, wie die Tataren, die getöteten Feinde zu Bänken und Tischen auf, auf denen sie ihren Sieg feierten. Historisch besser gesichert ist, dass sie mit dem Fett vom Bauch des in der Schlacht erschlagenen Zürcher Bürgermeisters ihre Stiefel frisch einwichsten und dass das „gruusam Brüelen des Uristiers“ und das „Lüyen der Nidwaldner Kuh“ die Feinde in panischen Schreck versetzten. So stürmten sie am 26. August 1444 bei Sankt Jakob an der Birs, vor den Toren Basels, in einer veitstanzartigen Rosengartenorgie des Irrsinns auf die zehn- bis zwanzigfache Übermacht des Berufsheers der Armagnaken ein, die im Dienst des französischen Kronprinzen standen. Innert Stunden erschlugen sie von Hand neben Tausenden von Feinden über elfhundert Rosse (was den Dauphin am meisten geschmerzt haben soll). Dies zur Illustration der schrecklichen Seite des Pan Verständlich, dass der gelehrte Bischof Eusebius von Cäsarea (262-339), Vater der Kirchengeschichtsschreibung und Freund des ersten christlichen Kaisers, in Pan den Teufel sah, den Erzfeind aller höheren Bildung und Kultur! Eusebius verachtete die Bocksfüsse von Pan, dessen haarige, dunkle, triebgebundene Seite und das darin lodernde Feuer höllischer Leidenschaften. Er strebte mit den Gebildeten empor zum Licht der Vernunft, das die dunkle Welt der Instinkte beherrschen sollte. Auch gebildete Römer, die sich im damaligen Sittenzerfall allerhand gewöhnt waren, hatten keine Sympathie für Pan, nannten sie ihn doch „den bespringenden, dreisten, barbarischen, grausamen, rohen, ungewaschenen, ruhelosen, haarigen, dunklen Gott.“

Doch den Athenern wurde Pan im Jahre 490 v. Chr. zur Rettung in höchster Not. Wie kam es dazu, da er doch zu dieser Zeit in Athen nicht verehrt wurde? Man wusste von Pan, dass er der Hauptgott Arkadiens war; doch die Arkadier wurden von den gebildeten Städtern als „Eichelfresser“ bzw. „Waldwildschweine“ verhöhnt. Doch als die Perser mit einem unwiderstehlichen Heer heranrückten und man deswegen in Sparta um Hilfe nachsuchte, ereignete sich Folgendes: Auf dem Rückweg von Sparta nach Athen erschien in Arkadien dem athenischen Schnellläufer Pheidippides der Gott Pan und trug ihm auf, den Athenern zu sagen, sie sollten nur auf ihn vertrauen. Nach dem Bericht von Herodot (485-425) nahmen die Athener diese Offenbarung ernst, und Pan erfüllte sie tatsächlich mit seiner Kraft. Sie stürzten sich im Laufschritt in die Schlacht! Sie waren die ersten Griechen, die vom Anblick des persischen Heeres nicht in Panik gerieten. Das überraschte die an Zahl und Ausrüstung überlegenen Meder derart, dass sie selber vom phobos panikos gepackt wurden! Sie ließen sich von den Athenern überrennen und niedermetzeln. Nach diesem legendären Sieg von Marathon wurde der Kult für Pan in Athen sogleich offiziell, und er verbreitete sich noch im selben Jahrhundert in ganz Griechenland, Kleinasien und Sizilien, später auch in Palästina, Ägypten und Nordafrika, sodass Pan zur Kaiserzeit im ganzen Imperium Romanum verehrt wurde. Doch dann ging seine Zeit, wie Plutarch berichtet, zur Neige, und der Äon des gesitteten christlichen Gottes zog herauf.

Interpretation: Die Tiefenpsychologie erkennt in Pan die ungezügelte, ursprüngliche Triebkraft, rohe Aggression und Sexualität, welche die gebildete Ratio verwirren. Im Altertum war man der Ansicht, der Trieb des Pan verkörpere sich im Ziegenbock am deutlichsten. So wurde der Bock zum religiösen Kultobjekt und Bild für Pan. Die physische Nähe des Ziegenbocks verlieh vitale Urkräfte und beschwor dunkle Erdgeister. Pan-Musik, auf der Sirynx, der arkadischen Flöte, gespielt, war dunkel, verführerisch und aufpeitschend; sie erinnerte an das sexuelle Abenteuer des Pan mit der Nymphe Sirynx im Schilf. Ganz anders war die Musik des (mit Christus wesensverwandten) Apollon: Dabei entzückten ätherische Harfenklänge Herz und Geist der Gebildeten. Der christlichen Kultur war Pan rohe Aggression und Sexualität, ein Pfui; Pan war der Teufel. „Der grosse Pan ist tot!“ Der Klageruf des ägyptischen Steuermanns zur Zeitenwende erfüllte sich, und Pan musste ins Exil. Er überlebte im Untergrund: im Satanskult und Schwarzen Messen. Doch gegen Ende des christlichen Äons kehrte er aus der Verbannung zurück, zuerst in der „heidnischen“ Renaissance (15. Jh. ), kultiviert in der Romantik (19. Jh. ), laut verkündet bei Nietzsche (1844-1900) und nackt (Nacktheit) im 20. Jh. in der sexuellen Revolution, der befreiten Aggression, in Sport, Körperkult, Psychoanalyse und Naturverehrung. Pan hat wieder Zutritt zum öffentlichen Leben; er ist heute „in“ wie einst im alten Rom. Die Tiefenpsychologie sucht nun mithilfe der Schattenintegration nach einer Fusion zwischen Pan und Christus auf höherer Ebene. Sie will Pan nicht mehr besiegen, sondern Trieb und Ratio, untere und obere Geister, Pan und Christus, unter der Ägide des Selbst miteinander versöhnen.

Literatur: Standard, Kaufmann (1998); Zacharias (1990)

Autor: Kaufmann, Rolf

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Information: Die Menschen des gebirgigen Arkadiens verehrten in Pan den Beschützer ihrer Herden [gr. paein: weiden] und die mächtigste Gestalt der Wildnis. Dem Wesen nach war er ein scheuer, ziellos umherschweifender Gott. Es war sein Geschlecht, das ihn ruhelos umhertrieb. Die Sage erzählt, daß er voll Lust und Drang die Nymphen des Waldes umwarb. Als die Nymphe Syrinx auf der Flucht vor dem ungestümen Pan an einen nicht zu überquerenden Fluss kam, verwandelte sie sich in Schilf. Aus Kummer darüber schnitzte Pan sich seine Flöte (Panflöte, Syrinx).

Das Windinstument und dem Tanz zugeneigt war der von Natur aus frohsinnige Pan ein Gespiele des bacchantischen Dionysos. Sohn des Hermes und einer Nymphe (die Mythologie nennt auch andere Eltern), von Gestalt in der Tradition alter Fruchtbarkeitsgottheiten halb Mensch, halb Tier mit den Hörnern, dem Schwanz und den Bocksfüßen einer Ziege.

Der Pankult (Blütezeit 5. Jhd. v. Chr. ) wurzelte im Geist des antiken Menschen, der in der Natur die Epiphanie des Göttlichen erlebte. Plutarchs Sage „der Tod des großen Pan“ gegen Ende des 1. Jhds. n. Chr. dokumentiert den epochalen Untergang eines Glaubens an die Naturgottheiten. Das frühe Christentum suchte das Göttliche einseitig in der Sphäre des Geistigen und Himmlischen und verband die Natur und alles Körperliche mit dem Bösen. Pan wurde im Laufe der Zeit zum Vorbild des gehörnten, bocksfüssigen Satans des Mittelalters. In der Renaissance kehrte der Wunsch des Menschen nach der Einheit von Natur und Geist zurück. Ausdruck dieser Bestrebung war nach einem tausendjährigen christlichen Verbot des Tanzes die Geburt des Balletts der Neuzeit. Es brachte neben dem solar-christlichen den chtonisch-faunischen [gr. chtón=Erde] Typos auf die Bühne. (1653 „Ballet royal de la nuit“, Ludwig der XIV).

Mozarts Oper „Die Zauberflöte“, vom alchemistischen Gedankengut des Freimauerertums durchsetzt, gab dem faunischen Element ein faszinierendes Gepräge im Vogelfänger Papageno mit seiner Panflöte. Er ist der natürliche Begleiter des mit Hilfe der Zauberflöte- höhere Weihen anstrebenden Tamino.

Der naturwissenschaftliche Geist der Neuzeit steht in der christlichen Tradition der Entwertung der Natur und des Körpers und entbehrt daher der heiligen Ehrfurcht vor der Natur, für die Pan in der Antike stand. Aspekte des Naturgottes scheinen dort wiederzukehren, wo dem modernen Menschen sein animalischer Gegenspieler begegnet. Beispiel aus der Filmgeschichte: King Kong (1933 E. Wallace), la belle et la bete (1946 J. Cocteau).

Interpretation: Pan gab der Panik seinen Namen. Das zugrunde liegende Bild ist das des im Mittagsschlummer dahin dämmernden Hirten, der im schreckhaften Erwachen glaubte, den durchdringenden Schrei des Gottes vernommen zu haben. Darin symbolisiert sich die Furcht des Menschen vor den eigenen, ungestüm-triebhaften Kräften, wie sie gerade in Momenten des abaissement mentale, der Minderung der zügelnden Kräfte des Bewusstseins, auftreten können.

Pan vertritt als Gott den archetypischen Machtbereich des Geschlechts und somit den Urgrund des Lebens. Er wurde in der Antike mit einem riesigen Phallus und von größtem Schöpfertum dargestellt. Die archetypische Dimension beinhaltet heute den chtonischen Schöpfergeist als kreativen Herausforderer und Gegenspieler des vorwiegend geistig dimensionierten Gottes christlicher Prägung.

In seinen Erinnerungen erzählt C. G. Jung seinen ersten, Panik auslösenden Kindheitstraum. Darin begegnete er einem unterirdisch inthronisierten Phallus. Jung schreibt: „der Phallus scheint auf alle Fälle ein unterirdischer Gott [...] zu sein [...] immer wieder dachte ich an seinen (Jesus) unterirdischen Gegenspieler als an eine von mir nicht gesuchte, schreckliche Offenbarung.“ Jaffé; Jung 1962, S. ). Dieser Traum initiierte Jung, den Weg zu gehen, den er später den Weg der Individuation nannte. Ihr Ziel ist die Vereinigung der Gegensätze Natur und Geist zu einem vollständigen Selbst.

Literatur: Standard

Autor: Runkel, Sylvia