Vater-Tochter-Beziehung

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Keyword: Vater-Tochter-Beziehung

Links: Ödipus, Vater, Tochter

Definition: Dieses Stichwort beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Vater und Tochter.

Information: Der Vater wird symbolisch oft verstanden als Autorität und Gesetz verkörpernd, das geistige Prinzip, Logos, die Welt der Werte und Ideen. Symbolisiert durch Sonne, Himmel, Berg. Der Himmelsgott ist der All-Vater mit Trickster Qualitäten, z. B. Zeus. In Mythos und Legende symbolisiert die Figur des Vaters körperliche, geistige und geistliche Überlegenheit."Vater Zeit" - gleichgesetzt mit Kronos und Saturn - hält eine Sense und / oder Sichel in der Hand als Gott des Ackerbaus und als der Schnitter Zeit. Attribut: Stundenglas. Die Macht und Autorität des Vaters ist überwältigend, er ist der große Bestrafer, Herr über Leben und Tod.

Für die Tochter nimmt diese Bestrafung den Charakter von Vergewaltigung an, für den Sohn bedeutet sie Kastration. „Pater familias“ bedeutet nicht Vater der Familie, sondern der Herr im Sinne von Herrscher über Sklaven. Pater, bedeutet nicht Erzeuger, sondern rex oder basileus, das heißt Herrscher.

Diese patriarchalische Herrschaft ist besonders deutlich in der römischen und in der chinesischen Familie. Aus den Rechtsvorschriften des Talmuds geht hervor, dass Frauenkauf eine Art Handel zwischen Vater und dem künftigen Ehemann bedeutet. Die Tochter war das Objekt, das nur den Besitzer wechselte. In diesem Verständnis ist auch Vergewaltigung keine Verletzung eines Persönlichkeitsrechts, sondern eine Art Diebstahldelikt gegenüber demjenigen, der das Mädchen besaß.

Die Besonderheit der Vater-Tochter Beziehung rührt daher, dass die unverheiratete Tochter die einzige Frau ist, auf die kein anderer als der Vater Ansprüche anmelden kann. Im germanischen Recht ist der Status der Frau der einer Leibeigenen und auch das preußische Landrecht gewährt die Munt-Gewalt, die väterliche Verfügungsgewalt über Frauen und Töchter. Die Qualität der „Ware“ Frau als Tauschobjekt wird auch heute noch in ländlichen Gebieten der Türkei durch das unverletzte Hymen bestimmt. Vor der Heirat hat das Mädchen dem Vater unbedingt zu gehorchen, dann dem Ehemann. Deutsche und schweizerische Werbungspraktiken verweisen auf die Tradition des Besitzrechtes des Vaters, denn der junge Mann musste beim Vater der Braut um ihre Hand anhalten. Es ist der Vater, der die Tochter an den anderen Mann abtritt. Die Frau und Tochter besitzt Tauschwert und Sachwert, vgl. im Alten Testament: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Haus, Knecht, Weib, Vieh [...] “

Aus dem Mittelalter ist das sogenannte jus primae noctis, das Recht der ersten Nacht überliefert. Es handelt sich um ein Herrenrecht, das Privileg der Grundherren, bei der Verheiratung seiner weiblichen Hörigen ihnen als erster in der Brautnacht beizuwohnen. Der Anspruch auf die Jungfernschaft der Töchter seiner Vasallen ist später durch den so genannten „Jungfernzins“, „Hemdschilling“ oder „Schürzenzins“ abgelöst worden.

Bei den verschiedensten Völkern ist der Brauch der Besitzergreifung der Tochter oder Schwiegertochter durch den Vater beschrieben worden.

Seit dem Konzil von Karthago 398 besteht die Sitte, sich in der Hochzeitsnacht abstinent zu verhalten und diese erste Nacht dem Herrn zu schenken. Für diesen Brauch ist die Bezeichnung „Droit de Seigneur“ oder auch „Gods Right“ überliefert. In der Geschichte des Leviten und seiner Konkubine (Buch der Richter 19, 11-30) steht das Gastrecht über dem Wohlergehen der jungfräulichen Tochter, die zur Vergewaltigung angeboten wird.

Das alte Testament ist eine Fundgrube von inzestuösen Erzählungen, z. B. Lots Töchter, in der Kunst aufgegriffen von Rubens, Altorfer, Tintoretto u. a. Veen. Zahlreiche christliche Legenden der Töchter, die von ihren Vätern begehrt werden. In den mythischen Überlieferungen des Altertums figuriert die Fabel von Myrrha und Cinyras, erzählt von Ovid in den Metamorphosen als Beispiel für die sündige Liebe der Tochter zum Vater.

Das Motiv, die Tochter für sich besitzen zu wollen (Apollonius Sage), sie nicht hergeben zu wollen, oder für das Kriegsglück zu opfern (Iphigenie, Jephta) ist ein klassisches Märchenmotiv: Der Teufel als Lehrer, das Mädchen ohne Hände. Ein weiteres klassisches Motiv ist das des eifersüchtigen Vaters, der seine Tochter niemandem gönnt (Teufel mit den drei goldenen Haaren) und durch Rätsel die Freier abzuhalten versucht (Turandot, Freud: das Motiv der Kästchenwahl).

Der ambivalente Doppelaspekt der Vaterimago als vorsorglicher Totengräber für den ersehnten Bräutigam für die Tochter wird sichtbar bei Raguel im Buch Tobia. Daneben ist die Flucht der Tochter vor den Nachstellungen des Vaters ein häufiges Märchenmotiv: Allerleirauh; des Reussenkönigs Tochter. Ambivalente Tochterbindung an den Vater vgl. die Berggeist Märchen.

Die Aufopferung der Tochter für den Vater, das Motiv der Selbstzerstörung der Tochter, die eigene vitale Lebensenergie opfern und sich selbst aufgeben, hat nicht nur in der Literatur große Vorbilder. Die Namen berühmter Töchter, Anna Freud, Erika Mann, Sylvia Plath verkörpern das Grundmuster der Identifizierung mit dem starken Vater.

Der Topos der gehorsamen Tochter wie Antigone, Cordelia, Elektra, die bereit sind, jedes Opfer für den geliebten Vater zu bringen, ohne dadurch zur Lieblingstochter zu werden, ist weit verbreitet. Daneben steht das Motiv der ungehorsamen Tochter, die gleichzeitig die Lieblingstochter ist: Wotan und Brünnhilde. Im Film ist die inzestuöse Vater-Tochter Beziehung häufig (z. B. bei Angelopoulos, Der Bienenzüchter)

Inzestuöse Vater-Tochter-Verhältnisse finden wir bei Hauptmann, Hebbel, Gogol, Schnitzler, I. Bachmann, Frisch: Homo Faber. Töchter schreiben sich nach dem Tod des Vaters frei von der Überschattung durch den väterlichen Archetyp: Ruth Rehmann: Der Mann auf der Kanzel, Jutta Schütting: Der Vater, Brigitte Schwaiger: Lange Abwesenheit.

In der Literatur der siebziger Jahre werden Katastrophenbilder von Väterlichkeit und Vater-Tochterbeziehungen entworfen, verformende, biegende, schlagende, kleinmachende Väter, schwache kastrierende Väter wie Kronos, der seine Kinder fraß. Im I- Ging steht das Hexagramm der Himmel für den Vater und Wind und Wasser für die Tochter. Simone de Beauvoir : Der Vater ist für die Tochter die Verkörperung der abenteuerlichen, ungeheuer schwierigen und dabei wunderbaren Welt. Er ist die Transzendenz, er ist Gott.“

Die patriarchale Besetzung des Ursprungs mit einer Vatergestalt (Göttergenealogie), Gott Vater als Schöpfer und Herr, ist problematisch für die Identitätsbildung der Tochter. Feministische Theologinnen kritisieren die Idealisierung des Vaters im Christentum und weisen an den Frauenschicksalen der Bibel nach, wie Töchtern die eigene Handlungsfähigkeit und die eigene Sprache genommen wird, wie sie in ihrer Identitätsentwicklung traumatisiert werden. Töchter protestieren heute gegen den patriarchalen Ungeist, der sich vom Vatergott im Himmel her zu legitimieren versucht. Die Dämonisierung des Vaterbildes in der Gegenwartskultur hat aufgrund des Zerfalls der väterlichen Rolle aufgehört und noch gibt es kein überzeugend neues Bild familiärer Väterlichkeit. Der antiautoritäre Zeitgeist und die 68er Jahre hat auch die Töchter in die Auseinandersetzung mit Vätern gezwungen, die den Krieg und den Holocaust mitgetragen haben. Väter als Täter, auch als Täter im Sinne der sexuellen Ausbeutung von Töchtern, ist modisches Medienthema. Eine subtilere Form des Missbrauchs liegt vor, wenn der Vater die Tochter als Anima benutzt und auf diese Weise emotional an sich kettet und ihr den eigenen Weg versperrt.

Interpretation: Da der Vater der erste Mann im Leben einer Tochter ist, prägen die Erfahrungen mit ihm und seinen Zuschreibungen von Weiblichkeit die Geschlechtsidentität und psychosexuelle Entwicklung der Tochter und führen nicht selten zum Vater Komplex. Die Definitionsmacht der Väter übertragen die Töchter auf Liebespartner und bleiben damit in der Vaterfalle gefangen. Solche Fixierung auf den Vater, als Ehefrau-Ersatz, Pflegerin, Sekretärin oder Muse kann im Verständnis der Jungschen Psychologie zu einer problematischen Animus-Entwicklung führen, zu Selbstentfremdung von den eigenen weiblichen Wurzeln. Die moderne Psychoanalyse und die Forschungen zur Säuglingsbeobachtung haben die Bedeutung des Vaters neu herausgearbeitet. Töchter leiden an der Arbeitssucht und Fahnenflucht des Vaters, sie erleben ihn als „Leerstelle“, als emotional nicht präsenten, abwesenden Vater. Der heutige „Vaterhunger“ als Sehnsucht der Tochter nach dem Vater, manifestiert sich in den Essstörungen, besonders der Anorexie. Die Suche nach dem Geist-Aspekt des Vaters, nach dem spirituellen Vater wird deutlich an der Überpräsentanz von „Töchtern“ in den Sektenbewegungen, der Suche nach „Gurus“.

Im Rahmen der Analyse wird der Vater besonders in der Übertragung relevant. In den Träumen und Imaginationen erscheint der Vater oft in archetypischen Dimensionen. Eine Klientin malt ihren Vater und schreibt dazu: „Teufel, König, Engel, Narr, Kind, Alter. Er opfert und wird geopfert. Steht in der Hölle und hat seinen Kopf im Himmel. Seine Struktur sucht er, indem er Pfarrer und Vater sein will. Gesetze sind ihm wichtiger als Menschen - er zerstört. Teufelsengel, Gottdämon, Bettlerkönig, altes Kind.“

Im therapeutischen Prozess geht es darum, sich von der Umklammerung einer solchen archetypischen Vatergestalt zu lösen und ins Eigene zu kommen, den numinosen Aspekt vom persönlichen Vater abzulösen und die transpersonale Dimension der Vater Imago zu erkennen. Dieser Bewusstwerdungsprozess befreit aus der komplexhaften Bindung an den Vater und ermöglicht Individuation.

Literatur: Standard

Autor: Wirtz, Ursula