Sündenfall

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Keyword: Sündenfall

Links: Baum, Bewusstsein, Bewusstseinsentwicklung, Paradies, Schatten, Schlange, Teufel

Definition: Unter dem Sündenfall wird im Christentum das Sündigwerden des Menschen, sein Abfall von Gott durch die Sünde Adams und Evas und die damit verbundene Vertreibung aus dem Paradies verstanden.

Information: Die um den „Sündenfall“ kreisenden Mythen sind Ausdruck der Trauer um das verlorene Paradies und der Frage, wie es überhaupt zu der schmerzensreichen Trennung von Ort und Zustand der ursprünglichen Glückseligkeit kommen konnte. Die meisten Mythen nehmen an, dass Ursache dieses Verlusts Strafe für eine Übertretung, Schuld oder „Sünde“ gewesen sei.

So geschah die Trennung der kosmischen „Welteltern“ (z. B. Mythus von Uranos, Gaia und Kronos) gewaltsam, durch Kastration des Himmelsgottes. Der Baum oder die Liane, die die Erde an den Himmel band, wurden abgeschnitten, der Berg, der den Himmel berührte, wurde eingeebnet. (Eliade, 1961). Jedenfalls wird der Bruch zwischen Himmel und Erde durch ein ethisch eher zweifelhaftes mythisches Ereignis herbeigeführt, das nichtsdestotrotz meist als notwendig beschrieben wird.

Im biblischen Schöpfungsmythus der Genesis erfahren wir, dass das Leiden vom Schöpfergott auferlegt wurde als Strafe für den Ungehorsam gegenüber dem Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Bekanntlich konnte Eva der Überredungskunst der Schlange nicht widerstehen, die da sagte: "Es werden euch die Augen aufgehen, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist." (1. Mose, 3, 4)

Und Eva wiederum verführte auch Adam dazu, den Apfel vom Baum der Erkenntnis anzubeißen. Die von Gott auferlegte Strafe lautet: "Feindschaft wird gesetzt zwischen dem Weibe und der Schlange. Das Weib soll unter Schmerzen ihre Kinder gebären. Der Mann soll im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen, da der Erdboden verflucht ist und Dornen und Disteln trägt." Und das Wichtigste: „Erde bist du, und zur Erde musst du zurück“. Der Tod hält also seinen Einzug.

Etwas Entscheidendes aber wird dadurch für den Menschen gewonnen: „Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner, dass er weiß, was gut und böse ist“.

Interpretation: Es scheint vor allem, dass Bewusstwerdung um gut und böse, d. h. um die Gegensätze im menschlichen Dasein, zugleich die Ausstoßung aus dem Paradies bewirkt. Somit stellt sich psychologisch die Frage, ob Paradies nicht letztlich bedeuten könnte: Ich sehe nicht, wie übel, dornig, distlig, nackt und bloß die Bedingungen des Daseins sind. Erst wenn mir die „Augen aufgehen“, wie Adam und Eva, werde ich der eigentlichen Wirklichkeit gewahr. Und damit ist zugleich die paradiesische Existenz verwirkt. Paradies hat also mit einem vorbewussten Zustand zu tun, wo Gegensatzspannung noch nicht zum Bewusstsein kommt, ein Zustand also, in dem „die Augen noch nicht aufgegangen“ sind.

Es ist wahrscheinlich, dass Paradies als archetypisches Bild ein Daseinsgefühl ausdrückt, welches mit dem frühesten Säuglingserleben, der von Neumann beschriebenen „Einheitswirklichkeit“ verknüpft ist. Paradies im weitesten Sinne ist auch Symbol für Geborgensein in einer Einheitswirklichkeit, in der innere Vorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse mit äußeren Gegebenheiten vollständig in Einklang kommen. In Wirklichkeit ist das nur für kurze „Sternstunden“ möglich. Und selbst so genannte „Sternstunden“ werden in ihrem vollen Stellenwert meist erst dann bewusst, wenn sie vorbei sind. Das Aufrechterhalten aber von Übereinstimmung zwischen innerem Vorstellungsgebäude und äußeren Gegebenheiten bedingt meist ein teilweises Verkennen oder Uminterpretieren von Tatsachen im Sinne des eigenen Wunschdenkens. Kritik des Bewusstseins als Unterscheidungsaktivität wird nicht eingesetzt. Wo „heile Welt“ aufrechterhalten oder in Zukunft errungen werden soll, ist stets unbewusste Paradiesvorstellung am Werk, die sich immer unter anderem auch darin äußert, dass gegenüber gewissen Aspekten der menschlichen Wirklichkeit die Augen geschlossen bleiben.

Die verschiedenen Folgen der Ausstoßung aus dem Paradies haben alle auch eine sinnreiche Bedeutung: Mit der Feindschaft zwischen dem Weib und der Schlange, d. h. der Entzweiung vom Menschen und seinem Triebleben wird z. B. ein anthropologischer Tatbestand symbolisiert. Schon archaische Völker versuchen, mittels ihrer schmerzhaften Initiationsriten, sich von der Kraft des Triebhaften abzugrenzen, um Mitglied der Stammesgesellschaft zu werden. Später setzt Ethik Prinzipien, nach denen die „Schlangennatur“ im Menschen in Schach gehalten werden soll.

Mit dem „Biss in die Ferse“ hat sich oft moderne Psychotherapie zu beschäftigen, nämlich mit den oft schmerzhaften Symptomen, durch welche sich gleichsam die Schlange für ihre Unterdrückung und Erniedrigung rächt.

Die zweite Leidensbedingung, nämlich Kindergeburt unter Schmerzen. gehört mit der letzten zusammen: Erde bist du und zur Erde musst du zurück. Man muss sich vor Augen führen, dass Eva in ihrer Paradieses-Existenz überhaupt nichts geboren hatte. Von Geburt und damit auch von Tod ist erst nach der Vertreibung die Rede. Durch Bewusstwerdung wird der Mensch hier mit der Grundbedingung alles Lebens konfrontiert: Leben bedarf ständiger Erneuerung. Das bedeutet ein kontinuierliches „Stirb und Werde“, dessen Opfer die individuellen Lebensträger sind. Für den Menschen bedeutet es eine spezifische Bürde, diese Lebensbedingungen nicht nur ahnungslos zu leben sondern um deren Konsequenz auch zu wissen. Dies Wissen um Vergänglichkeit und Tod lebt in seiner Vorstellung und kann eine der einschneidensten Leidensquellen bedeuten.

Eine weitere Leidensbedingung an Adam lautet: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“. Hier ist der „homo faber“ angesprochen, der Mensch, der dank seines Bewusstseins seine Lebenswelt selber schafft und umschafft. Zugleich hängt das „Unbehagen in der Kultur“ (Freud) mit dem zutiefst zwiespältigen Wesen des Menschen zusammen. Wir sind zwar Nutznießer, aber auch Leidende der an sich so gigantischen Leistungen des homo faber, der die Natur und das Natürliche umschaffen und seinen Zwecken unterordnen kann. Dies führt uns zu Sachzwängen, welche durch die hoch differenzierte moderne Zivilisation mit ihren technologischen Möglichkeiten verursacht werden. Zugleich erscheint die Ursünde aber auch als gottgewollt. So spricht die altkirchliche Osterliturgie von „felix culpa“, von glücklicher Schuld, denn ohne sie wäre Gott in der Gestalt Christi nicht Mensch geworden um seinen Erlösungsakt zu vollziehen.

Immanuel Kant (1790, S. 85ff. ) prägte als Erster für den Zustand nach dem Sündenfall den heute so wichtigen Begriff von der „Mündigkeit des Menschen“. Und sein Gefolgsmann F. Schiller (1790, S. 142), der den vermeintlichen Ungehorsam gegen das göttliche Gebot als Abfall vom Instinkt auffasst, formulierte: „Dieser Abfall des Menschen vom Instinkte, der das moralische Übel zwar in die Schöpfung brachte, aber nur um das moralische Gut darin möglich zu machen, ist ohne Widerspruch die glücklichste und größte Begebenheit in der Menschengeschichte. Von diesem Augenblick an schreibt sich seine Freiheit, hier wurde zu seiner Moralität der erste entfernte Grundstein gelegt…“.

Literatur: Jacoby (1980)

Autor: Jacoby, Mario