Sündenbock

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Keyword: Sündenbock

Links: Libido, Opfer, Persona, Schatten, Ziege, Ziegenbock

Definition: Der Begriff des Sündenbockes geht in seiner Wortbedeutung von der männlichen Ziege aus, ist aber letztlich eine Abstraktion von ihr und meint die Übertragung von Schuld oder Sünden einer Gruppe oder ganzen Gemeinschaft auf ein Tier oder einen Menschen, um die anderen davon zu befreien und zu erlösen.

Information: Der Anthropologe James George Frazer widmete in der 1928 erschienenen deutschen Ausgabe seines Monumentalwerkes „Der goldene Zweig“ der Sündenbock-Thematik gleich mehrere Kapitel. In diesem Zusammenhang spricht er von der Verbindung zweier Sitten, die ursprünglich unabhängig voneinander waren. Einerseits war es üblich, den menschlichen oder tierischen Gott zu töten, um zu verhindern, dass sein göttliches Leben von den Übeln des Alters heimgesucht wurde. Andererseits war es Brauch, einmal im Jahr eine allgemeine Austreibung des Bösen und der Sünden abzuhalten. Als man beides miteinander verband, war das Ergebnis die Verwendung des sterbenden Gottes als Sündenbock. Dass dabei oft der zum Opfer ausersehene Mensch Schläge mit Meerzwiebeln auf die Geschlechtsorgane bekam, geschah in der Absicht, seine zeugenden Kräfte von einer Hemmung oder einem Schadenszauber zu befreien. Vor der Tötung wollte man die männliche Energie des Sündenbocks reizen, damit diese in voller Wirkungskraft auf seinen Nachfolger, den neuen Gott, überging, der sofort den Platz des Erschlagenen einnehmen sollte.

Der Kultur- und Literaturwissenschaftler René Girard erarbeitete in vier Studien zwischen 1983 und 1990 eine dem Ursprung der Gewalt im menschlichen Zusammenleben nachspürende anthropologische Theorie, wonach der Sündenbock-Mechanismus von Grund auf das Menschsein prägt.

Nach ihm zieht sich durch alle mythischen, religiösen und literarischen Traditionen der Menschheit ein geheimes Baugesetz durch: Ein wertvoller, im Grunde göttlicher Mensch muss mit innerer Notwendigkeit von jenen Personen ausgestoßen und gewaltsam getötet werden, für die er lebt. Indem sich an ihm die Gewalttat ereignet, schafft er für die Seinen, die ihn töten, Zukunft und Lebensraum. Der Ernst vieler Texte der Weltliteratur stammt stets aus der ahnenden Erinnerung an die Gewalt, auf der die menschliche Gemeinschaft gründet.

Girard spricht von einem „Gründungslynchmord“, von dem her die Texte leben. Sie spielen mit ihm, suchen ihn zu verschleiern oder seine tragische Notwendigkeit aufzuzeigen, um dadurch die dahinter stehende Gewalt zu legitimieren und als Heiliges zu etablieren. Die religiöse oder staatliche Institution, die nach Girard das Menschen- oder Tieropfer vollzieht, richtet in regelmäßigen Abständen das Göttliche als schaudererregende Tötungsmacht auf, um dadurch die Menschen je neu in Angst und Schrecken zusammenzubinden und ihnen die Einhaltung der von ihr aufgestellten „göttlichen“ Gesetze einzuschärfen. In den Opfer-Traditionen aller Religionen liegt deshalb die praktische Entsprechung für die Traditionen des Mythos und der tragischen Literatur.

Die bisherigen theoretischen Ausführungen zum Thema werden nun im mythologischen Teil des Artikels konkretisiert und ergänzt. Im babylonischen und hethitischen Kulturbereich verließ der König während bestimmter Krisenzeiten seinen Thron, entkleidete sich sämtlicher Würdezeichen und zog sich inkognito zurück. Aus einer Prophezeiung wurde z. B. auf den bevorstehenden Tod des Führers geschlossen. Nur durch Einsetzung eines anderen Menschen als Ersatzperson in sein Amt während der Gefahrenzeit und durch den anschließenden, notfalls gewaltsam herbeigeführten Tod des Stellvertreters war eine Rettung möglich. Später konnten als Ersatzkönige auch Tiere wie Stiere, Schaf- und Ziegenböcke, aber auch Frauen oder Tierweibchen geopfert werden. Auch in der griechisch-römischen Antike gab es ähnliche Riten, etwa in Athen, Rom, Marseille oder auf Rhodos. Dabei ging es immer um die Ablenkung bzw. Übertragung eines Übels auf jemand anderen, sodass der antike Sündenbock nicht die Verkörperung des moralisch Bösen darstellte, sondern eigentlich ein „Übelbock“ war, der drohendes Unheil (Krankheit, Seuchen, Katastrophen) abwenden sollte.

Im Rahmen der hier skizzierten Thematik spielte bei den alten Griechen Dionysos eine zentrale Rolle. Er war in der Mythologie der Gott des Weines, der Baumzucht, des Landanbaus, der Garten- und Obstkultur sowie der Vegetation und der Fruchtbarkeit überhaupt. Dieser Sohn des Göttervaters Zeus wurde als neugeborenes Kind von den Titanen, den sechs Söhnen und Töchtern der alten Erdgöttin Gaia, ergriffen und in Stücke gerissen. Aber seine Großmutter Rhea, die Verkörperung der ursprünglichen Weisheit, sammelte alle Teile wieder ein, fügte sie zusammen und schenkte dem jungen Gott so ein neues Leben. Dann verwandelte der Götterbote Hermes auf Zeus Befehl Dionysos zeitweise in ein Zicklein und vertraute ihn einigen Nymphen an, die das göttliche Kind erzogen und oft auf einem Ziegenbock reiten ließen. Die alten Griechen machten aus diesem Mythos ein bestimmtes Ritual: Sie nahmen eine junge Ziege, schnitten sie in sieben Stücke, brieten sie in der Milch des Muttertieres und aßen sie dann in einer Art Abendmahl. So wurde in Gestalt des Zickleins der Gott alljährlich quasi symbolisch getötet und wiedergeboren; im Ritual verleibten ihn sich die Menschen ein und vereinigten sich auf diese Weise mit seiner ekstatischen Energie. Diese Zeremonie fand zur Sommersonnenwende Ende Juni manchmal auch mit einem Bock oder Stier als Opfer statt. Die Ziege galt dabei als heiliges Tier des Weins, der Bock als Symbol des überbordenden vitalen Lebens und der rauschhaften Sexualität.

Außerdem gab es ein ähnliches Ritual auf dem Lande bei den Bauern im Monat März. Diesem Ziegenopfer lag auch die Idee der Stellvertretung zugrunde, die letztlich das Tier zum Repräsentanten des Gottes machte. Das Schicksal des Bockes, des „tragos“, der das grausame Spiel des Lebens in einer festen Zeremonie erlitt, wurde künftig „tragisch“ genannt. Das Wort „Tragödie“ leitet sich von „tragos-odé“ = “Bocksgesang“ ab. Der Name stammt von den in Bocksfellen gehüllten Chorsängern, die Gesänge und Tänze zu Ehren des Dionysos aufführten und Erzählungen aus dem Leben des Gottes vortrugen. Daraus entwickelte sich allmählich das Drama und seine tragische Form der Kunst. Die Tötung des Bockes geschah auf Veranlassung des Weingottes zu seiner Freude und über die Stellvertretung auch zu seinem Leide zugleich. Das Tier musste als Sünder gegen Dionysos sterben, nachdem es früher sein Repräsentant war. Im Drama gerät der tragische Bühnenheld stets in Konflikt mit der sittlichen Weltordnung oder mit einem von außen an ihn herantretenden Schicksal und scheitert daran. Sein individuelles Ziel, Motiv oder Ideal verbindet ihn mit dem Gott, der mit ihm leidet, ihn aber zur Aufrechterhaltung der allgemeinen kosmischen Gesetze sterben lassen muss. Der tragische Held rebelliert mit seiner Absolutheit gegen die Gebrechlichkeit der Welt und hat dafür zu büßen. Er wird genauso wie die männliche Ziege zum Übel- oder Sündenbock gemacht, damit alles so wie bisher weiterlaufen kann.

Innerhalb einer religionsgeschichtlichen Darstellung des Themas, die über eine mythologische Erörterung im engeren Sinne hinausgeht, ist das jüdische Sündenbock-Ritual am bekanntesten. Im 16. Kapitel des dritten Buches Mose aus dem Alten Testament befahl Jahwe seinem „Knecht“ Moses und dessen Bruder Aaron jährlich ein großes Versöhnungsfest am Jom-Kippur-Tag zu feiern, welcher der zehnte Tag des Monats Tischri (September bis Oktober) zu sein hätte. Dabei sollten zwei Ziegenböcke „zum Sündopfer“ genommen werden. Der eine dieser beiden war Jahwe selbst zu opfern. Den anderen sollte Aaron „lebendig vor den Herrn stellen, dass er über ihm versöhne, und lasse den Bock für Asasel in die Wüste“. Der Bruder von Moses hatte auf Gottes Befehl hin „alle Missetat der Kinder Israel und alle ihre Übertretung in allen ihren Sünden“ dem für Asasel bestimmten Ziegenbock „auf das Haupt“ zu legen, „dass also der Bock alle ihre Missetat auf sich in eine Wildnis trage“. Die in den beiden Tieren verkörperte Energie der menschlichen Triebe und Instinkte wird in diesem Ritual gespalten. Der eine der beiden Böcke wird Jahwe geopfert. Dieser Teil der Libido kann also einer Sublimierung zugeführt werden, und dies stiftet die Versöhnung des reumütigen Volkes mit seinem Gott und seinen heiligen Idealen auf positive Weise. Aber der andere Teil der Triebkraft in Gestalt des zweiten Ziegenbocks wird negativ aufgeladen, als Sünde abgestoßen und in das Unbewusste verdrängt, das wegen der Abspaltung „Wüsten“ - Charakter annimmt und dadurch die Belastung mit der Sünde zur Wildnis als einem Ort der Isolation, der Verwirrung, des Elends und der Dämonie wird.

Asasel oder Azazel kann mit Wortableitungen wie „verschwindender Ziegenbock“, „harter Felsen“ oder „starker Sohn Gottes“ übersetzt werden. In der Frühzeit der israelischen Stämme war er ein Gott, dem man die offene Weidelandschaft und die Verantwortung für sengende Wüstenstürme zuteilte, während Jahwe innerhalb des Zeltdorfes verehrt wurde. Das Opfer im jüdischen Ritual musste jedenfalls zweigeteilt werden. Diese Art Gleichberechtigung Asasels mit dem Hauptgott wurde später vom Bewusstsein des Volkes aber nicht mehr gutgeheißen und ins Negative umgedeutet.

Interpretation: Bei den vorhebräischen frühsemitischen Hirtenstämmen galt der sog. „harte Felsen“ als gehörnter Naturdämon und heilender Fruchtbarkeitsgott, der im Ziegenbock symbolisiert und verkörpert war. Er wurde mit dem Weiblichen, mit sinnlicher Schönheit und Naturreligionen sowie mit erotischer und aggressiver Triebhaftigkeit in Verbindung gebracht. Die psychischen Energien, die Asasel versinnbildlichte, empfanden die Juden immer mehr als negativen „Schatten“, dem sie die Vernichtung oder totale Infragestellung ihrer mühsam aufgebauten „Persona“ zutrauten und der daher unterdrückt oder verdrängt werden musste. So wurde er zur Gottheit des Ortes außerhalb des kollektiven hebräischen Lebens erklärt.

Erich Neumann geht in seinem Buch „Tiefenpsychologie und neue Ethik“ von 1949 nicht speziell auf Asasel ein, sondern versucht den Mechanismus des jüdischen Sündenbock-Rituals auf einer allgemeinen Ebene durch das destruktive Zusammenwirken von Persona und Schatten zu erklären. Der innere Kampf zwischen den beiden gegensätzlichen psychischen Instanzen führt dabei zu einer Spaltung zwischen dem Bewusstsein, das sich mit moralischen Werten identifiziert, und dem Unbewussten, das gegen diese Moral rebelliert, aber schließlich dann doch vom Gewissen unterdrückt oder verdrängt wird. Diese seelische Spannung manifestiert sich bei den betroffenen Menschen in einem Schuldgefühl, das der mehr oder weniger unterschwelligen Wahrnehmung des Schattens entspricht. Die Körper- und Triebsphäre, die zu den Werten der Persona im Widerspruch steht, kann individuell und kollektiv nicht als negativer Teil der eigenen Struktur akzeptiert werden und muss projiziert, d. h. nach außen verlegt und als ein Äußeres erfahren werden. Dann darf der Schatten – als Fremdes draußen und nicht als Eigenes drinnen – bekämpft, bestraft und ausgerottet werden.

Die Beseitigung des Schuldgefühls und die Abfuhr der abgesperrten negativen Kräfte durch Schattenprojektion ist in der frühen Menschheitsgeschichte oft durch die seelische Institution des Sündenbocks erfolgt. Im Ritual des Judentums fand die Reinigung des Kollektivs durch Übertragung des Unreinen und Bösen auf den zweiten Ziegenbock statt. Aus dieser Zeremonie hat sich die sog. „Sündenbock - Psychologie“ entwickelt, bei der das Negative als Fremdes erfahren wird und die Opfer der Schattenprojektion von jeher überall die Ausländer und Minderheiten jedes Volkes sind. Die Außenseiter verkörpern immer auch eigene seelische Anteile des Kollektivs, von denen es nichts wissen will und die es in den dunklen Bereich der Seele abdrängt. Im Schatten und in der dazugehörigen Projektion wird stets die unbewusste Gegenposition der jeweiligen Gesellschaft, die irgendwie die Haltung und Sicherheit des öffentlichen Bewusstseins zu bedrohen scheint, aus dem Inneren der unbekannten Psyche hinausgestellt und in dem Fremden stellvertretend umgebracht. Man bekämpft im Ketzer den eigenen religiösen Zweifel und im politischen Gegner oder Feind das Wissen um die Einseitigkeit des eigenen gesellschaftlichen oder nationalen Standpunktes.

Eine andere Gruppe, die das Opfer der Sündenbock – Psychologie darstellt, bilden die sog. „ethisch Minderwertigen“, d. h. im weitesten Sinne seelisch oder geistig behinderte Menschen die durch die Justiz und den Strafvollzug geächtet, bestraft und hingerichtet werden. Aber auch der Gegensatz dazu, der kleine elitäre Kreis der sog. „Überwertigen“, der Führer, Genies, Künstler und Intellektuellen, entgeht nicht der Diskriminierung, Verfolgung und Verurteilung, weil es allgemein eine primitive Tendenz gibt, das Beste und Hervorragende stellvertretend im Ritual zu opfern und als Sündenbock zur eigenen Kollektivreinigung zu benutzen. So setzt sich das unbewusste Schattenelement, von dem sich die Gemeinschaft zu befreien sucht, gerade in der Grausamkeit bei der Opferung der jeweiligen Sündenbockgruppen erst recht immer wieder durch. Das öffentliche Bewusstsein glaubt sich dabei identisch mit den höchsten Werten der eigenen Moral und verübt die brutalsten Morde mit „bestem Gewissen“. Bei den Unterdrückern und Verdrängern der Schattenseite gibt es dann eine unbewusste Verstärkung des Negativen bis zum Sadismus und zur bestialischen Zerstörungslust. Dies führt zu paranoiden Reaktionen einzelner Völker, die sich innerhalb der Kollektive in der Verfolgung der eigenen Sündenbockgruppen und außerhalb davon in der Durchführung internationaler Kriege ausdrücken. Die Stauungen und Ausbrüche der hier feindlich und destruktiv gewordenen Schattenkräfte verwandeln die Geschichte bis heute in einen Blutstrom ohnegleichen.

Sylvia Brinton Perera ergänzt Erich Neumann in ihrem Buch „Der Sündenbock-Komplex“ von 1987 um einige allgemeine religionsgeschichtliche und individuelle therapeutische Ausführungen. Nach ihr änderte sich durch die Unterdrückung und Verdrängung der Schattenenergien bei den alten Hebräern auch immer mehr das Bild von Asasel, vor allem als die Spaltung zwischen dem guten Gott und dem bösen Teufel immer tiefer wurde. Der ursprünglich heilende Fruchtbarkeitsgott in der Gestalt des Ziegenbocks verkörperte mehr und mehr das gleiche Prinzip wie Satan, Jahwes Widersacher. Er stellte als Ankläger der Menschen die göttliche Gerechtigkeit dar, die von ihrem notwendigen Gegenpol, dem Erbarmen, getrennt war. Als Träger des göttlichen Zorns wurde er zum arroganten, verdammenden Staatsanwalt einer dogmatischen und perfektionistischen Moral, der gnadenlos alles verurteilte, was Jahwes Gesetzen nicht entsprach. Diese übertrieben einseitige, dämonische Verzerrung der ursprünglich heilenden Ganzheit macht in der Psychologie moderner Menschen Asasel zur autoritären Gewissensinstanz des antitriebhaften, sadistischen Über-Ichs, das sich in offener Verachtung äußert. Bei Individuen, die sich mit dem sog. Sündenbock-Komplex identifizieren, wird dieser innere Ankläger durch das ablehnende Verhalten und das moralische Urteil der Familie konstelliert, die kollektive Tugenden vertritt und gegen das Instinktleben kämpft.

Am Ende ihres Buches erörtert Brinton Perera die Möglichkeit einer Lösung des Problems. Sie sieht Empfindsamkeit und Bereitwilligkeit, Leiden anzunehmen, im Grundcharakter jener Menschen, die dazu neigen, sich mit dem Sündenbock-Archetypus zu identifizieren, als bereits vorhanden an. Im Heilungsprozess müssen die Patienten die Fähigkeit lernen, geduldig auszuharren, ohne Schuld- und Schamgefühle einfach „da“ zu sein, Veränderungen zu riskieren und frei mit Möglichkeiten zu spielen. Diejenigen, die unter dem Komplex leiden, empfinden die erlösenden Energien des Archetyps anfänglich nur als unannehmbar und dunkel, fürchten und verachten diese positiven Seelenanteile, weil sie mit dem negativen Schatten identifiziert sind und sich selbst nur aus der Perspektive des anklagenden Asasel betrachten. Sie sind durch ihr seelisches Exil und ihre Sehnsucht nach dem Kollektiv innerlich versklavt und dienen so ihrem sadistischen Über-Ich. In der Therapie ist es für sie wichtig, dem Prozess ihrer Wandlung zu folgen, bis dieser die schöpferische Bedeutung von Asasel enthüllt, der hinter dem satanischen Ankläger versteckt ist, zu dem ihn die jüdisch-christliche Literatur gemacht hat.

Die „Sündenbock-Patienten“ bringen eine Fähigkeit zu emotionaler Intensität mit, die das Ergebnis des Drucks von unbewussten, nach Freisetzung drängenden Kräften ist und durch das Symbol des stürmischen Ziegenbocks ausgedrückt werden kann. Diese Triebhaftigkeit versorgt den Instinkt mit ekstatischer Energie, die gegenüber der Macht des verdrängenden Anklägers gleichwertig ist. Die Träger der Intensität haben eine Abneigung gegen die Zähmung ihrer Kräfte und spüren, dass der anregende Schub spontaner Begeisterungsfähigkeit aus der Tiefe ihres Wesens kommt und geschützt werden muss. Diese Einstellung bildet die Voraussetzung für das Durcharbeiten des Sündenbock-Komplexes. Am Schluss der Therapie kann dann der Ziegenbockgott für den Patienten die Möglichkeit bedeuten, Ekstase und Disziplin, spielerische Improvisation und ernsthafte Arbeit zu verbinden, was die Grundlage der Kreativität darstellt. Asasels „Ganzheit“ mit ihrer leidenschaftlichen Intensität, die in der Einseitigkeit des Anklägers pervertiert war, vermag nun zur Fähigkeit objektiver Sicht und zu einer Leidenschaft für Leben und Geist, quasi zu einem „Eros für Logos“ zu werden.

Literatur: Standard

Autor: Schröder, Friedrich