Drache

Aus symbolonline.eu
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Keyword: Drache, Drachenkampf

Links: Anfang, Angst, Chaos, Feuer, Held, Heldenmythos, Heros-Prinzip, Schlange, Tod, Unbewusstes, Uroborus

Definition: Ein Drache (von griech. drákon »Schlange«) ist in der Mythologie ein großes, schlangen- oder echsenartiges, meist geflügeltes Fabeltier. Er verkörpert oft das Böse, das Chaos, die Mächte der Finsternis oder ist der Hüter eines Schatzes.

Information: In den mythologischen Vorstellungen vieler Völker des westlichen Kulturkreises verkörpert der Drache Anfangs- und Urmächte, die den Menschen und sein geordnetes Leben immer wieder bedrohen. Wenn die Menschen von den Ursprüngen und ersten Dingen des Lebens fantasieren, dann fantasieren sie auch drachenähnliche Gestalten. Drachen sind Geschöpfe des Chaos, der Unordnung, der Finsternis. Ihre Gegenspieler sind Licht, Ordnung und Erkenntnis bringende Götter und Heroen, die durch die Drachentötung Himmel und Erde voneinander trennen und die Welt entstehen lassen.

Eine der frühesten überlieferten Erzählungen ist der Kampf des babylonischen Sonnengottes Marduk gegen das Chaos-Ungeheuer Tiamat, die Mutter des Abgrunds. Mit einem Netz, einer Keule, mit Gift, Pfeil und Bogen und einem Köcher voll Blitzstrahlen bewaffnet, begleitet von den vier Winden und einem mächtigen Wirbelsturm, durchforschte Marduk in seinem Sturmwagen den Kosmos nach Tiamat. Er breitete sein Netz über die Leere und fing Tiamat darin und tötete sie.

Auch von dem griechischen Göttervater Zeus wird ein solcher Drachenkampf berichtet. Der Drache hieß Typhon und war ein Sohn von Gaia und Tartarus, der Erde und der Unterwelt. Gaia hatte ihn lange Zeit verborgen gehalten, aber eines Tages brach er aus seinem Versteck hervor, um das junge olympische Göttergeschlecht zu vernichten. Typhon, halb Mensch, halb Tier, war das größte Ungeheuer, das je das Licht der Welt erblickte. Nach langem Kampf besiegte Zeus Typhon endlich, indem er den Vulkan Ätna auf das Ungeheuer schleuderte.

Nach altnordischem Glauben erstreckte sich ein riesiger Baum, die immergrüne Weltesche Yggdrasil, vom Himmelszelt bis in die Tiefen der Hölle. Ihr Stamm und ihre Äste stützten die gesamte Weltordnung, und ihre Wurzeln verbanden die Welt der Götter, der Menschen und der Toten. An ihren Wurzeln und damit an den Grundfesten des geordneten Daseins aber nagte beständig der Drache Nidhöggr. Nicht nur der Urgrund allen Seins war durch den Drachen dauernd gefährdet, auch das Reich des Menschen war durch ein solches Wesen bedroht. Die Menschenwelt Midgard war umgeben von der Midgardschlange, die in der Tiefe des Meeres lag. Sie wurde von dem Gott Thor vergeblich bekämpft. Man stellte sich vor, dass es Thor und der Schlange bestimmt war, am Weltuntergang ein letztes Mal miteinander zu kämpfen. Dann würde Thor mitten im ewigen Winter, wenn der Himmel auseinanderbarst und das Chaos wiederkehrte, die Schlange töten, sobald sie aus dem Wasser schnellte. Der giftige Atem der sterbenden Riesenschlange aber würde den Gott ebenfalls vernichten. In den wogenden Feuermassen würde die Welt untergehen und in die Elemente zerstreut werden, aus denen sie entstanden war.

Interpretation: Der Drache ist ein äußerst vieldeutiges, archaisches Symbol. Deshalb lässt er sich auf die verschiedensten Mächte, die dem Menschen als gefährliches und lebenshemmendes Problem erscheinen, beziehen: beispielsweise auf die Naturgewalten, ein schweres Lebensschicksal, gefangensetzenden Bann der Eltern, auf das Unbekannte, Dunkle und Böse der Seele oder auf den Tod.

Wenn nun zusammengefasst wird, was in den beschriebenen Bildern assoziativ alles mit dem Drachen verbunden wird: Leere, Abgrund, Tiefe, Chaos, Dunkelheit, Katastrophen, Weltuntergang, tödliche, verschlingende Bedrohung, ekel- und schreckenerregende Gestalt, Gift, Feuer und Lava, dann sehen wir, dass er eine Projektionsgestalt der Menschheit für ihr Grundgefühl der dauernden Gefährdung sowohl in der Außenwelt wie auch in der psycho-physischen Innenwelt ist.

Im Drachen hat sich alles in einer Gestalt verbildlicht und verdichtet, was der Mensch sich als Ausdruck seiner existenziellen Ängste vorstellen konnte. Deshalb weisen auch andere schreckenerregende Gestalten der menschlichen Fantasie, die Dämonen, Teufel, Hexen, böse Gottheiten, die Horrorfiguren und Ungeheuer, meist enge Parallelen zum Drachenbild auf.

Diese Ängste und Gefährdungen der menschlichen Persönlichkeit, die sich in allen Zeiten und in allen Kulturen in ähnlichen bildhaften Gestalten dargestellt haben, sind archetypisch, das heißt, sie sind allgemein-menschliche Grunderfahrungen, die ebenso in der Gegenwart wie auch in der Zukunft das Erleben und Verhalten des einzelnen Menschen bestimmen werden.

Leicht lässt sich zeigen, dass auch die Psyche des modernen Menschen ganz ähnliche drachenartige Bilder spontan hervorbringt, wenn sie sich in entsprechenden archetypischen (Archetyp) Konfliktsituationen befindet. Dabei greift sie manchmal auf richtige archaische Drachengestalten zurück, manchmal passt sie sich aber auch den Entwicklungen des technischen Zeitalters an und lässt uns träumen von grünen Panzern, die durch das Dickicht brechen, von Dampflokomotiven, die rauchend und schnaufend aus der Höhle des Tunnels hervorkommen, und von Tieffliegern, die mit mörderischem Lärm über unsere Köpfe hinwegjagen. Die merkwürdigste Drachenvariante ist mir bisher im Traum eines jungen Mannes begegnet: Er wurde von einem großen alten Eisenofen verfolgt, in dem ein helles Feuer brannte und der ihn zu verschlingen drohte.

Jeder Mensch vollzieht von seiner Geburt bis zu seinem Tode immer wieder den Mythos des Helden und des Drachenkampfes. Im Vergleich zum reifen Erwachsenen-Bewusstsein ist das Bewusstsein des Kindes noch sehr diffus und chaotisch. Das Kind wird von seinen Trieben, Wünschen und Gefühlen geängstigt und getrieben, seine Umwelt ist ihm größtenteils fremd. Sie erscheint ihm mit unheimlichen Kräften und Mächten belebt, und es muss ständig fürchten, verstoßen und hilflos allein gelassen zu werden. Wie schnell der Chaos-Drache über ein kleines Kind hereinbrechen kann, sehen wir schon, wenn es auch nur für kurze Zeit allein gelassen wird. Dann wird aus einem fröhlichen, lebensoffenen Kind plötzlich ein zutiefst verzweifeltes Wesen, das von panischen Ängsten überflutet wird und so etwas wie den Untergang seiner Welt erlebt.

Am Anfang seiner Bewusstseinsentwicklung sind die guten Eltern für das Kind die göttlichen Heroen, die das Ur-Chaos bändigen, die Licht, Sicherheit und Orientierung bringen. An ihrem Vorbild und unter ihrer Anleitung lernt es allmählich, selbst ein menschlicher Held zu werden, das heißt, mithilfe seines immer besser werdenden Wahrnehmungs- und Unterscheidungsvermögens, seiner erstarkenden Willenskraft und Selbstständigkeit, seiner Trieb- und Gefühlskontrolle und seines erkennenden Denkens die Schwierigkeiten seines Daseins zu bewältigen und dessen Dunkelheiten aufzuhellen.

Aber das Leben führt den Menschen in den verschiedenen Altersstufen immer wieder vor neue, unbekannte Situationen, in denen er sein Scheitern befürchtet: Schule, Prüfungen, Beziehungen zu anderen Menschen und zum anderen, fremden Geschlecht, Sexualität, Beruf, Geburt eigener Kinder, Älterwerden, Trennungen, Krankheiten, Unfälle, Tod. Wenn es ihm vergönnt war, gute Bewältigungsstrategien dafür zu lernen, wird er Hoffnung und Mut haben, auch diese Situationen zu meistern. Aber nicht viele von uns haben diese guten Bewältigungsstrategien gelernt. Statt eines goldenen Schwertes des mutigen Denkens und der Entscheidungsfreude haben wir vielleicht nur ein verrostetes, altes, stumpfes Schwert zur Verfügung, das am ersten härteren Widerstand gleich zerbricht. Statt uns eines spiegelnden Schildes bedienen zu können, der uns Objektivität, Weisheit und Gelassenheit verleiht, lassen wir uns immer wieder von nervenaufreibenden Sorgen krank machen und von zermürbenden Streitereien verletzen. Oder statt uns von einem feurigen, starken Hengst neuen Zielen entgegentragen zu lassen, schleppen wir uns mit einem riesigen Sack von fremdbestimmten Pflichten, Verantwortlichkeiten, Schuld- und Minderwertigkeitszuschreibungen im Kreis herum durch eine öde Landschaft.

Deshalb werden solche neuen Lebensphasen, die uns zum Weiterlernen und zur Wandlung aufrufen, zu Situationen großer Angst und Gefährdung. Hinter ihnen scheint der große Drache zu lauern, der uns zu verschlingen droht, der das orientierende Licht unseres Bewusstseins verdunkelt, unsere Handlungsfähigkeit hemmt und unseren Lebenssinn auflöst.

Aber der Drache ist häufig nur deshalb gefährlich, weil wir vor ihm fliehen. Das, was wir als Chaos, Unbekanntes und Fremdes fürchten, sind häufig neue Entwicklungsmöglichkeiten, unbekannte Aspekte unseres Selbst, die wir uns noch nicht vertraut gemacht haben. Früher malte man auf den Landkarten an den Grenzen, wo das noch unerforschte Gebiet begann, einen Drachen. Man sagte gewissermaßen: Das ist gefährliches, fremdes Gebiet, hier hausen Drachen, deshalb wird es nicht weiter erkundet. Aber die Heldenmythen ermutigen dazu, uns der Angst vor dem Neuen und Unbekannten zu stellen und den Drachenkampf immer wieder zu wagen.

Bei Erich Neumann (Neumann, 1949) bezieht sich der Drachenkampf auf die Auseinandersetzung zwischen dem Ich-Bewusstsein und dem Unbewussten, auf die Ablösung aus der uroborischen (Uroborus) Ursprungssituation und die Ablösung aus der Macht der Eltern-Archetypen. In der Alchemie repräsentiert der Drache das anfängliche Chaos, die "Ur-Materie" (prima materia), das Unbewusste, aus der, durch den Prozess des Lösens und Verbindens ("solve et coagula") der Stein der Weisen, das höhere Bewusstsein, gewonnen werden soll. Hinter dem, was als Chaos, Unbekanntes und Fremdes gefürchtet und abgewertet wird, stehen aber nach Auffassung der Analytischen Psychologie häufig neue Entwicklungsmöglichkeiten, latente, unbewusste Aspekte des Selbst, die noch nicht vertraut sind. Die Heldenerzählungen vom Drachenkampf ermutigen, sich der Angst vor dem Unbekannten zu stellen und den Drachenkampf immer wieder zu wagen, damit das Hemmende überwunden, "der Schatz" gehoben, das Neue gefunden werden und das Leben weitergehen kann.

Der Drachenklampf symbolisiert somit tiefenpsychologisch die Differenzierung unbewusster Inhalte und deren Integration in die bewusste Persönlichkeit, zu der immer auch das Aushalten von Angst gehört. Ängste aber sind natürliche, oft hilfreiche und sinnvolle Reaktionen, die zur gesunden Lebensorientierung nötig sind. Der beste Umgang mit ihnen ist deshalb nicht ihre Unterdrückung oder Abtötung, sondern die aktive Auseinandersetzung mit ihnen und den mit ihnen verbundenen, befürchteten Inhalten. Dann können die "Drachen" auch ihre positiven, förderlichen Aspekte zeigen, wie sie in den Vorstellungen Indiens, Chinas und Japans zu finden sind. Dort ist der Drache ein Symbol der Fruchtbarkeit und schöpferischen Kraft, des langen Lebens, des Glücks und der Weisheit.

Literatur: Standard, Müller (1987), Steffen, (1984)

Autor: Müller, Lutz