Daimon

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Keyword: Daimon

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Definition: Der Begriff Dämon (lat. daemon, griech. daimona = göttliches Wesen; Schicksal, Verhängnis) hat eine doppelte Bedeutung. Zum einen wir er als ein böser Geist, der den Menschen besessen machen kann, verstanden, andererseits auch als ein göttliches, gutes Wesen.

Information: Zur Zeit des Homer (9. Jh v. Chr.) war der Ausdruck "Daímon" für Gottheit noch ebenso gültig wie "Theós" oder "Theá" (Gott/Göttin). Erst ab Hesiod (8. Jh. v. Chr.) wird damit ein Wesen der Zwischenwelt bezeichnet. Der Daimon ist von da an eine numinose, faszinierende, auf irrationale oder unerwartete Weise sich äußernde göttliche Kraft, ohne dass der Kraftträger personifiziert würde. Jede hervorragende Kraft oder Tat, ob begeisternd oder verhängnisvoll, wurde eine "dämonische" genannt, da sie als Wirkung einer Gottheit galt. Eine gebräuchliche Etymologie leitet den Daimon ab vom gr. Verb daiesthai (= teilen) als "Zuteiler des Schicksals". Ab Pindar (522-442 v. Chr.) ist die Rede vom Daimon eines Einzelnen als eines persönlichen wegleitenden Schutzgeists (röm. Genius). Sokrates (469-399 v. Chr.) spricht von seinem "Daimonion” als göttlicher innerer Stimme, die ihn auf dem Wege seiner Bestimmung hielt. Ein wichtiges Zeugnis des Daimon als persönlichem Schutzgeist findet sich bei Platon (427-347 v. Chr.) am Ende der "Politeia". In diesem letzten Mythos griechischer Überlieferung wird berichtet, wie sich die menschlichen Seelen vor ihrer (Wieder-) Geburt in freier Wahl einen "Grundriss" (gr. paradeigma) ihres zukünftigen Lebens selbst aussuchen, und dass ihnen ein dazu passender persönlicher Daimon mitgegeben wird. Beim dramatischen Übertritt in die Erdenwelt werden die Wiedergeborenen zwar die gewählte Aufgabe vergessen, doch wird ihr Daimon als wegleitender innerer Rufer nicht aufhören, sie daran zu erinnern.

Trotz der Nähe zu Platon in vielen Punkten werden in der frühchristlichen Kirche die Daimones der Antike dennoch samt und sonders zu Dämonen im einseitig negativen Sinn. Im MA kommen noch die Götter und Geister nördlichen Ursprungs dazu, die diabolisiert werden.

In den Engeln gewinnen sie immerhin auch als positive numinose Kräfte Gestalt: Flügel zeigen sie als Wesen des Raumes zwischen Himmel und Erde. Auch in anderen Kulturen, die oft über differenzierte Dämonen- und (Natur-)Geisterwelten verfügen, sind Flügel Kennzeichen göttlich-daimonischer Kräfte, die auf Herkunft aus einer "Anderswelt" hindeuten. Böse oder niedere Dämonen ("unsaubere Geister") gelten in allen Naturreligionen als Ursache von Krankheit und Wahnsinn. Sie erzeugen Besessenheitszustände, von denen auch noch das NT berichtet.

Interpretation: C. G. Jung hat an vielen Stellen in Bezug auf die Symptomatik unbewusster Komplexe und vor allem archetypischer Wirkmächte auf die Verwandtschaft mit den Erscheinungsweisen abgespaltener Dämonenkräfte hingewiesen, sowohl im Kollektiv als auch individuell. Jeder Archetypus ist ein Daimon, der sich in verschiedenen Ausdrucksebenen zeigt, z. B. auch in prägenden Strömungen des "Zeitgeists". Im Individuationsprozess sieht Jung im Vorhandensein einer inneren Stimme, eines Gefühls von Bestimmung ein "persönliche Daimonion" am Werk. Am konsequentesten unter den jungianischen Psychologen vertritt James Hillman die Auffassung eines persönlichen "Daimon" ("Charakter und Bestimmung"), den er auch "Genius" oder "Engel" nennt. Hillman bezieht sich direkt auf den platonischen Mythos. Seine "Eicheltheorie" besagt, dass der persönliche Entwicklungsauftrag dem einzelnen Menschen von Anbeginn als Bild eines definitiven Charakters mitgegeben sei, so wie der Bauplan einer Eiche schon in die Eichel "eingefaltet" ist. Der innere Daimon wirke auf die fortschreitende Entfaltung dieses Bildes hin, doch schrecke die Seele u. U. vor der Größe der Aufgabe oder Berufung zurück, was zu neurotischen Symptomen führen könne. Nicht Störungen der zurückliegenden biographischen Geschichte seien die Ursache, sondern Angst vor der zukünftigen, unbewusst gefühlten Bestimmung. Um diese zu erfüllen, erfinde der Genius jedoch unermüdlich Mittel und Wege, die das ursprüngliche Bild auch in der Verzerrung erahnen lassen. Im psychotherapeutischen Prozess gehe es darum, das angeborene Bild aufzufinden, das sich auf allen Lebensstufen in irgendeiner Form zu zeigen versuche, besonders deutlich in der Kindheit.

Literatur: Standard

Autor: Romankiewicz, Brigitte