Ablass

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Keyword: Ablass

Links: Beichte, Fegefeuer, Glaube, Kirche, Priester, Sündenbock, Weltbild

Definition: Nachlass von auferlegten Strafen, die von dem Sünder nach seiner Umkehr noch zu verbüßen sind.

Information: Die Lehre vom Ablass gehört nach wie vor zum Glaubensgut der röm. -kath. Kirche. Ablass bedeutet Erlass einer Fegefeuerstrafe. Das kath. Kirchenrecht definiert den Ablass in § 992 des CIC: "Ablass ist der Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist." Mit der "zeitlichen Strafe vor Gott" ist das Fegefeuer gemeint. Durch teilweisen Ablass wird dieses verkürzt, durch vollkommenen Ablass annulliert oder beendet."Die getilgte Schuld" bezieht sich auf die Absolution in der Beichte durch den Priester: "Ego te absolvo."

Absolution (lat. absolvere "lösen", "freisprechen") allein genügt nicht; die Strafe muss abgebüßt werden, hienieden in Form von guten Werken und drüben im Purgatorium. Ablass verkürzt die Strafe.

Die erwähnte Broschüre gibt praktische Hinweise, wie man den Ablass des Jubeljahres 2000 erhält. Voraussetzung für den Empfang des Ablass sind sakramentale Beichte und Kommunion bei der Mitfeier der Eucharistie. Hinzukommen muss das Zeugnis der Gemeinschaft mit der Kirche, bekundet durch das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und eine Anrufung der Gottesmutter Maria, sowie Taten der Buße und der Nächstenliebe. Orte für den Erwerb des Jubiläumsablasses sind die Hauptkirchen der Stadt Rom und des Heiligen Landes. < [ [...] ] Der Ablass kann für sich persönlich, fürbittweise aber auch für verstorbene Personen erworben werden. Der Ablass kann mehrfach empfangen werden, jedoch nur einmal pro Tag" (S. 7 f.).

Alte Bilder zeigen, wie man Ablass konkret empfängt: Verzweifelte Seelen werden von Engeln aus dem Fegefeuer gehoben; oft spendet Maria aus ihrer Brust Gnadenmilch dazu. Im Hintergrund sieht man Gläubige für die Seelen der im Feuer Büßenden beten. Mithilfe der Kirche können Seelen aus dem Fegefeuer befreit werden; denn der Schatz der überschüssigen guten Werke Christi und der Heiligen gleicht die Sünden der Gläubigen aus. Der Thesaurus wird vom Papst zugunsten der Gläubigen verwaltet und wie ein Fonds durch neue Heiligsprechungen aufgestockt. Matth. 16, 18-19 begründet die Vollmacht des Papstes, Ablass zu spenden. Christus sagt zu Petrus: "Du bist Fels, und auf solchem will ich meine Gemeinde bauen [ [...] ]. Ich werde dir die Schlüssel zum Himmelreich geben: Was du auf Erden binden wirst, soll auch in den Himmeln gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch in den Himmeln gelöst sein." Als Stellvertreter Petri kann der Papst "lösen": Ablass verschaffen. Mit dem Ablass trieb die Kirche bisweilen argen Missbrauch. Das brachte den Ablass in Verruf. So versprach der Papst all denen vollkommenen Ablass, die am Kreuzzug teilnahmen, und Reiche konnten sich mit Geld aus dem Fegfeuer loskaufen, ohne ihre Sünden ernstlich bereut zu haben: "Wenn nur das Geld im Kasten klingt, die Seel schon aus dem Feuer springt" (Johann Tetzel, 1465-1519, dominikanischer Ablassprediger).

Religionsgeschichtlich wurzelt der Ablass der röm. -kath. Kirche im Versöhnungstag, dem zentralen jüdischen Fest. Der Oberpriester vollzieht den Sühneritus, indem er einem Sündenbock alle Sünden des Volkes aufbindet und diesen damit zum Wüstendämon Asasel schickt: "Dann soll Aaron beide Hände auf den Kopf des lebenden Bockes stützen und über ihm alle Verschuldungen und alle Übertretungen bekennen, mit denen sich die Israeliten versündigt haben, und er soll diese dem Bock auf den Kopf legen und ihn durch einen bereitstehenden Mann in die Wüste hinaustreiben lassen. So soll der Bock alle ihre Verschuldungen auf sich wegtragen, hinaus zu Asasel in die Wüste. So soll Aaron sich und dem Volk Ablass schaffen" (3. Mose 16, 21 ff.).

Ihren endgültigen Ausbau erhielt die Lehre vom Ablass im Hoch- und Spätmittelalter.

Die evangelischen Kirchen lehnen die Vorstellung des Fegefeuers sowie des vom Papst verwalteten Thesaurus als unbiblisch ab; damit entfällt für sie der Ablass.

Man sieht: Durch Projektionen, die konkretistisch für wahr gehalten wurden, wurde einst jenseitige Wirklichkeit erschaffen, aber auch wieder abgeschafft! So erklärte 1527 der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli (1484-1531): "Es sye ghein fegfür." Da es für Zwingli kein Fegfeuer gab, fiel auch der Ablass dahin. Zwinglis biblisch begründete Ansicht wurde später durch die moderne Naturwissenschaft bestätigt, die erkannte, dass im Erdinneren kein Platz ist für Fegfeuer.

Die historisch-kritische Erforschung der Bibel doppelte nach, die Bibelstelle Matthäus 16, 18-19 stamme nicht vom historischen Jesus, sondern sei diesem nachträglich von der Petrusgemeinde in Jerusalem in den Mund gelegt worden, um Ansehen und Macht des Kepha (hebr: Fels) zu stärken; Matthäus 16 sei "Gemeindebildung" und deshalb für die liberale protestantische Theologie nicht verbindlich. So wurde der Ablass in der Neuzeit von progressiven Kräften weitgehend ersatzlos gestrichen. Man machte Tabula rasa. Der Ablass auf der Schreibtafel wurde ausgewischt, war kein Thema mehr.

Hingegen: Am Ende des Anno Santo teilte die kath. internationale Presseagentur (kipa) mit, das Interesse am Ablass sei im Zunehmen begriffen; über zehn Millionen Menschen hätten im Jahr 2000 die Pforten des Petersdoms durchschritten, um zu einem Ablass zu kommen. 1998 hatte Papst Johannes Paul II im Blick auf das Heilige Jahr verlauten lassen: "Die Freude jedes Jubeljahres ist in besonderer Weise die Freude über den Nachlass der Schuld" ("Tertio Millennio Adveniente", S. 32). Das Komitee der Schweizerischen Bischofskonferenz gab am 3. März 1999 die gefällig aufgemachte Broschüre heraus: "Der Ablass, ein Zeichen der Gnade im Heiligen Jahr 2000." Darin wurde festgehalten, der Ablass sei eine ewig gültige Einrichtung der Kirche. Zudem war zu lesen, Martin Luther (1483-1546) habe den Ablass nicht abschaffen, sondern reformieren wollen.

Interpretation: Die Tiefenpsychologie geht achtsamer um mit der archaisch-mythischen Tradition als die rationalistisch-positivistisch eingestellte Moderne. Wenn die jenseitige Welt nach innen genommen und als Projektion erkannt wird, löst sich diese nicht in nichts auf, sondern gerät in den Wandlungsprozess einer Metamorphose. Aus Altem wird nicht nichts, sondern Neues. Ablass und Fegefeuer meinen jetzt nicht mehr jenseitige Realitäten, sondern sind Symbole für eine innerweltliche Wirklichkeit. Im Bild des Fegefeuers erscheint nämlich jene Seite des Lebens, die einheizt und schmerzt, aber auch reinigt, wenn man die richtige Einstellung dazu findet, und Ablass ist das, was höllische Krisen mildert und verkürzt.

Was aber schafft Ablass und macht das Leben erträglicher? Eine Not hat immer zwei Seiten, eine materielle und eine seelisch-geistige. Ihre materielle Seite wird durch Einrichtungen des modernen Wohlfahrtsstaates gelindert. Not wird heute auch nicht mehr archaisch als eine vom Himmel verhängte Strafe für eine Versündigung verstanden. Materielle Linderung verschaffen etwa die Kranken-, Unfall-, Alters-, Invaliden- und Sozialfürsorge sowie Versicherungen und materielle Hilfeleistungen aller Art. Der moderne Sozialstaat hat den Ablass aus dem Jenseits ins Diesseits hereingeholt und materiell weitgehend umgesetzt. Heute besitzen viele Menschen genügend materielle Dinge – und sind trotzdem unzufrieden. Dies hängt aber mit der geistigen Einstellung zusammen. In dieser Beziehung hapert es im Zeitalter des Religionssterbens weit herum. Doch welche Einstellung lindert Not und Pein, schafft Ablass im Fegefeuer?

Tiefenpsychologisch orientierte Psychagogik weist darauf hin, dass die innere Stimme des Selbst vertrauenswürdig ist, weil das uralte Selbst über einen immensen Erfahrungsschatz verfügt. Das bedeutet, Träume und andere Winke des Unbewussten ernst zu nehmen und ganz natürlich zu werden. Das ist der Sinn einer zeitgemäßen Spiritualität. Was früher der kirchliche Ritus des Ablass magisch im Blick aufs Jenseits bewirkte, wird heute einerseits durch den Sozialstaat angeboten. Andererseits hilft die Pflege der Spiritualität, mit den Schattenseiten (Schatten) des Lebens besser zurande zu kommen und daran sogar zu reifen. Der archaische Priester verwandelt sich in den tiefenpsychologisch orientierten Psychagogen (Seelenführer). Am Ablass wird der religiöse Umbruch unseres Zeitalters sichtbar. Wer heute umfassend Ablass erlangen will, darf sich nicht damit zufriedengeben, Sozialhilfeempfänger zu sein; was einst der Priester für ihn besorgte, muss er spirituell selber leisten. Das ist zwar anstrengender, aber auch effizienter.

Literatur: Kaufmann (2005, 2006)

Autor: Kaufmann, Rolf