Alchemie: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr

Keyword: Alchemie

Links: Albedo, Alchemie, Phasen der, Chaos, Citrinitas, Hermes, Lapis, Nigredo, Rubedo, Selbst, Stein, Tod, Unus mundus

Definition: Grundidee der Alchemie (arab. al-kimiya, aus griech. chymeía: Handwerkskunst, flüssiges Metall zu gießen) ist die Verwandlung der Materie im Opus Magnum, indem sie auf ihren Urzustand bzw. Ursprung (prima materia) zurückgeführt und in eine neue, veredelte Form gebracht wird. Ziel ist die Herstellung von Silber oder Gold bzw. des Stein der Weisen, der auf die Materie übertragen, "projiziert" wird und diese zu Gold transmutiert.

Information: Die alchemistische Sicht der prima materia beruht auf der aristotelischen Entelechie (griech. : Verwirklichung der in einem Seienden angelegten Dinge) und auf vorsokratischen Vorstellungen eines unbestimmbaren Urstoffs (Anaximander) und der vier Elemente. Die Anfänge der abendländischen Alchemie etwa im 2. / 3. Jh. v. Chr. sind mit der mythischen Figur des Hermes Trismegistos verbunden. Weitere Einflüsse: Isis/Osiris-Mythos mit dem Zyklus von Tod und Wiedergeburt), babylonische Astrologie, Gnosis, Kabbala und Magie. In Europa wurde die Alchemie im 13. Jh. in die Scholastik integriert und umfasste als ganzheitliche Wissenschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit Religion, Wissenschaft und Kunst gleichermaßen. In der Renaissance wurde sie weiter mit religiösen Symbolen angereichert. Mit den Erfolgen der Naturwissenschaft verlor die Alchemie im 18. Jh. an Bedeutung, um im 20. Jh. aufgrund ihrer tiefenpsychologischen Dimension von C. G. Jung neu entdeckt zu werden. In der Alchemie waren Transmutation der Metalle, Erlösung der Natur und spirituelle Läuterung des Adepten oft untrennbar miteinander verbunden. Der Alchemist versuchte sich in Leiden, Tod und Auferstehung der für ihn beseelten Materie imaginativ einzufühlen (Parallele zur mystischen bzw. schamanistischen Initiation).

Seine Vorstellungskraft, die imaginatio, welche die Materie in eine neue Form (Chaos) überführen kann, nimmt sich die Natur zum Vorbild und ahmt die Reifungsprozesse der Metalle im alchemistischen Gefäß (vas hermeticum) nach. Die Laborarbeit bedarf einer spirituellen Disziplin durch Meditation, Lektüre und Gebet (ora et labora) und göttlicher Eingebung ("deo concedente").

Interpretation: Jung sieht in der Alchemie eine esoterische Unterströmung des Christentums, die das im Christentum verdrängte Weibliche und seine Stellung im schöpferischen Schaffensprozess betont. Sie ist für ihn ein Schatzhaus der Symbolik und eine historische Entsprechung für innere, unbewusste Erfahrungen und den Prozess der Individuation. Anhand umfangreichen Traummaterials weist er durch Symbolarbeit die Parallelen des Individuationsprozesses zur alchemistischen Bilderwelt nach (vgl. GW 12). Er geht von einer unbewussten Identität des Alchemisten mit dem Stoff aus, in den dieser sein Unbewusstes projiziert. Der Stein der Weisen ist deshalb ein Symbol des Selbst und zudem eine Parallele zu Christus. Seine spätere Beschäftigung mit der Alchemie ist um die Gegensatzproblematik zentriert. Die "Psychologie der Übertragung" (GW 16) veranschaulicht er mit elf alchemistischen Emblemen aus dem Rosarium philosophorum. Er will damit Vereinigungs- und Trennungsvorgänge in zwischenmenschlichen Beziehungen einschließlich des analytischen Prozesses auf bewusster wie unbewusster Ebene aufzeigen und die damit verbundene Projizierung der gegengeschlechtlichen Persönlichkeitsanteile. Im "Mysterium Coniunctionis", seinem Alterswerk, gipfeln die Stufen der Gegensatzvereinigung in der Erfahrung der einen Wirklichkeit (unus mundus) jenseits des Gegensatzes von Materie und Geist. Jung stellt auch eine Beziehung der Farben zum alchemistischen Prozess dar: (Jung, GW 12, S. 267 ff: "Die Phasen des alchemistischen Prozesses"), in dessen vier Phasen sukzessive die vier Wandlungsfarben der sich verändernden Materie auftauchen: die Schwärzung (Nigredo), die Weißung (Albedo), die Gelbung (Citrinitas) und schließlich die Rötung (Rubedo). Im 15. /16. Jahrhundert wurden die Farben mehr und mehr auf drei reduziert, wobei die Gelbung, auch Zitronenfarbe (Citrinitas) genannt, allmählich zurücktritt, oder vielmehr durch die Grünung (Viriditas) ersetzt wird.

Die Schwärze ist als Anfangszustand der Materie (Materia prima) entweder vorauszusetzen oder kommt durch die Zerteilung der Elemente mit dem Beginn des alchemistischen Prozesses zustande. Aus der Schwärzung führt die Abwaschung (Abwaschen) entweder direkt zur Weißung oder es leitet eine Vielheit der Farben (auch Cauda Pavonis-"Pfauenschwanz" - genannt), indem allmählich zur Ganzheit vereint, wieder zur weißen Farbe über, die alle Farben in sich enthält. Damit ist das erste Hauptziel des Prozesses, die Weißung, erreicht, der Silber- oder Mondzustand, der aber noch bis zum Sonnenzustand gesteigert werden soll. Erst die Rötung stellt den Sonnenaufgang dar, wobei die Gelbung den Übergang zur Rötung bildet, durch Steigerung der Wärme und des Feuers auf den höchsten Grad. Im alchemistischen Prozess gelten das Weiße und das Rote zugleich symbolisch als Königin und König, die sich in der chymischen Hochzeit vereinigen können. Was der klassische Alchemist im Stoffe sieht, sind nach Jung "zunächst seine eigenen unbewussten Gegebenheiten, die er darein projiziert" (GW 12, S. 267). Jungs Ausführungen wirken oft ähnlich kryptisch wie die alchemistischen Texte selbst, die er zitiert, tragen aber dennoch wesentlich dazu bei, sowohl die Bedeutung der Alchemie in der Kultur- und Geistesgeschichte wie auch der Arbeit mit Symbolen in der Psychotherapie und seiner Methode der Amplifikation zu untermauern. Die therapeutischen Implikationen der alchemistischen Symbolik und Metaphorik wurden zur Konzeption eines interaktiven Feldes (Schwartz-Salant, 1995 und Stein, 1995) erweitert. Die imaginativen und meditativen Aspekte der Alchemie haben von Franz (1978, 1979) Odajnyk (1993) und Raff (2000) weiter ausgearbeitet.

Literatur: Edinger, E. (1990); Jung, C. G. (1972): Psychologie und Alchemie. GW 12; Jung, C. G. (1976): Die Psychologie der Übertragung. GW 16; Jung, C. G. (1978): Studien über alchemistische Vorstellungen. GW 13

Autor: Krapp, Manfred