Urmensch
Keyword: Urmensch
Links: Anthropos, Archetyp, Gottesbild, Individuation, Mensch, Selbst
Definition: In allen Religionen spielt der Urmensch eine große Rolle, nicht so sehr als Urvater der Menschheit, sondern als der göttliche erste Mensch, das Urbild oder Idee des Menschen.
Information: Im Chinesischen ist es Pán Ku, der große Schöpfer in der Gestalt des Kosmischen Menschen. Er kam aus dem Chaos und sein Körper hatte viermal die Größe des gewöhnlichen Menschen. Zwei Hörner saßen auf seinem Kopf (vgl. Moses und Alexander), im Oberkiefer waren zwei Hauer. Sein Körper war dicht von Haaren besetzt. Weil er die Gesetze von Himmel und Erde kannte und den Wechsel der zwei Feuer, die ihnen eigen waren, konnte er die tiefen Täler ausgraben und die Berge auftürmen (primitive Geologie).
Er lehrte die Menschen Boote und Brücken zu bauen. Er verstand sich auf die Qualität der Gesteine und konnte jene aussuchen, die für die Menschen wertvoll waren (Kulturheros). Mit Hammer und Meißel brachte er das Universum in seine Form (Schöpfer). Von seinem hohen Thron aus erließ er Befehle an die Leute, die er in zwei Klassen aufteilte: Aristokraten und Plebejer. Oben seien Sonne, Mond und Sterne, sagte er, und unten die vier Meere. Als die Menschen auf seine Befehle, wie er das Chaos ordnete, hörten, verloren sie ihre Müdigkeit. Nachdem er seine Anordnungen ausgeschöpft hatte, verschwand er eines Morgens, und man hörte nie mehr etwas von ihm.
In der sibirischen Mythologie wurde der erste Mensch aus verschiedenen Materialien aus den vier Teilen der Welt geformt (Quaternität): aus dem Osten brachte der Himmelsgott Eisen, von Süden das Feuer, vom Westen das Wasser und aus dem Norden die Erde. Aus dieser bildete er Fleisch und Knochen, aus dem Eisen das Herz, aus Wasser das Blut und aus dem Feuer die Wärme. In einer russischen Erzählung wird das Fleisch des Urmenschen aus Erde, seine Knochen aus Steinen, seine Sehnen aus Wurzeln, sein Blut aus Wasser, seine Augen aus der Sonne, seine Gedanken aus Wolken, sein Geist aus dem Wind und seine Wärme aus dem Feuer gemacht. Wäre es dem Teufel nicht gelungen, den Urmenschen zu berühren, hätte er, nach einer Erzählung der Burjäten, Krankheit und Tod nie gekannt.
In einer altaischen Geschichte wuchs ein Baum ohne Äste. Das gefiel Gott nicht, und er ließ neun Äste wachsen. Dann ließ er neun Menschen unter den neun Ästen entstehen, aus welchen die neun Rassen entstanden. In der weiteren Geschichte ist nur noch von Mann und Frau die Rede, zu welchen Gott sagte, esst nicht von den Früchten der vier Äste gegen Westen, sondern von den fünfen gegen Sonnenaufgang. Gott setzte als Wächter einen Hund unter den Baum und sagt, wenn der Teufel kommt, packe ihn. Außerdem setzte er dorthin eine Schlange und sagte, wenn der Teufel kommt, stich ihn! Der Teufel konnte alle überlisten und so kamen alle Übel in die Welt. (Vgl. Holmberg, 1978)
Dies sind weniger bekannte Mythen, die jedoch alle wesentlichen Merkmale aufweisen. Im abendländischen, persischen und indischen Kulturkreis ist dieser Stoff viel ausführlicher behandelt.
Im jüdisch-christlichen Bereich ist Adam der Urmensch. In den verschiedenen Systemen der Gnosis spielt er eine große Rolle und daraus wurde auch die Anthroposlehre der Hermetik. Diese strahlte dann in die Alchemie aus, wo er als homo altus, homo quadratus oder homo putissimus (echtester Mensch) auftritt. Er ist verbunden mit der Idee der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott (Gn 1, 26).
Interpretation: Psychologisch bedeutet er den unverfälschten, ursprünglichen Menschen und symbolisiert eine Frühform des Selbst.
Literatur: Standard; Ribi, 2002
Autor: Ribi, Alfred