Riese

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Keyword: Riese

Links: Größenfantasie, Kraft

Definition: Ein Riese [mhd. rise, ahd. riso] ist ein in Märchen, Sagen und Mythen auftretendes Wesen von übergroßer menschlicher Gestalt, meist von feindseligem, gewalttätigem, rohem Charakter. Davon abgeleitet ist die entsprechende umgangssprachliche Bezeichnung für einen sehr großen Menschen.

Information: In einem der griechischen Schöpfungsmythen waren die ersten Kinder der Mutter Erde hundertarmige Riesen von halbmenschlicher Gestalt und die wilden, einäugigen Kyklopen. Der Vater Himmel, Uranos, zeugte mit der Mutter Erde die Titanen, nachdem er die aufständischen Kyklopen in den Tartaros (Unterwelt) geworfen hatte. Auf Rache sinnend gab Mutter Erde ihrem Sohn, dem Titan Kronos, eine Sichel, womit er seinen Vater kastrierte. Später vermählte sich Kronos mit der Titanin Rhea, doch er fürchtete sich davor, von seinen Kindern entthront zu werden, weshalb er sie verschlang. Rhea konnte nur eines retten, nämlich Zeus, der dann später die Herrschaft übernahm. (Hier wird die uralte Angst der Väter deutlich, von den eigenen Kindern, vor allem den Söhnen, überwachsen zu werden – außerdem die ebenfalls uralte Koalition zwischen Mutter und Sohn gegen den Vater).

In den Sagen des deutschen Sprachraums gibt es die Riesen als ungeschlachte Naturgeister, als ungeheure Wetter-Riesen, Sturm-Riesen, als Wind und Windin, und auch als die wilden Männer des deutschen Waldes, woraus der Rübezahl entstanden ist. Die Riesen warfen Felsblöcke (Riesenspielzeug), hinterließen riesige Fußabdrücke und erschlugen einander im Streit.

Interpretation: Der Riese ist eine mythologische und archetypische Figur, ein chaotisches, ungebändigtes Triebwesen, das die chthonische Natur verkörpert. Die Riesen sind roh und sittlich gleichgültig; unersättlich in ihrer sinnlichen Gier wirken sie zerstörend, solange sie nicht von den Göttern in Schranken gewiesen sind. Andererseits besitzt der Riesen als einer der ältesten Wesen ein Wissen um die urweltlichen Dinge und überlieferte Weisheit. Die Keule als die primitive Waffe des Riesen in ihrer zerschmetternden Wirkung weist auf ungeheure archaische Affekte hin; sie hat aber neben ihrer zerstörerischen auch eine befruchtende Bedeutung, was u. a. aus ihrer phallischen Form hervorgeht.

In den Gestalten der Riesen spiegeln sich erste, ängstigende Kindheitswahrnehmungen von der Welt der Erwachsenen wideRiesen Die Erwachsenen erscheinen dann dem Kind als angsteinflößende Riesen, ausgestattet mit Macht und Magie. In Träumen von Riesen können sich – als verdrängte oder abgespaltene Schattenaspekte der eigenen Persönlichkeit – eine chaotische Triebnatur, ängstigende Größenfantasien oder aggressive Affekte zeigen. Wie man auch in den Mythen und Sagen den Riesen niemals direkt bekämpfen konnte, sondern nur mit List, so ist auch im Umgang mit diesen unbewussten Kräften eine vorsichtige Annäherung ratsam, denn sie können eine große Eigendynamik entwickeln und lassen sich nicht wirklich töten. Das Ziel wäre eine schrittweise Integration und Annahme dieser riesigen Kräfte.

Als Odysseus auf den einäugigen Kyklopen Polyphem traf, eine unberechenbare Naturmacht, konnte er nur mit einer List sich selbst und diejenigen seiner Kameraden, die der Kyklop noch nicht verschlungen hatte, retten. Doch am Schluss beleidigte er den gekränkten Polyphem durch ätzenden Spott. Odysseus wähnte sich zu früh als Sieger und konnte seine Allmachtsanwandlungen nicht im Zaum halten. Polyphem rächte sich bitter.

Im Märchen vom „Tapferen Schneiderlein“ wird das kleine Schneiderlein als Repräsentant der Ich-Instanz mit zwei Riesen konfrontiert. Aus dieser heiklen Situation kann es sich nur durch eine mutige List retten, und schließlich bekämpfen und töten sich die Riesen gegenseitig.

Literatur: Standard

Autor: Claus, Waltrud