Eber
Keyword: Eber
Links: Aggression, Heros-Prinzip, Schwein, Tier
Definition: Geschlechtsreifes männliches Schwein
Information: Die altgermanische Bezeichnung für die maskuline Form des Schweins lautet althochdeutsch „ebur“, mittelhochdeutsch „eber“, niederländisch „ever“, altenglisch „eofur“ und altisländisch „jofurr“. Damit sind auch lettisch „vepris“ und lateinisch „aper“ verwandt. Gerade das zuletzt genannte, von den alten Römern gebrauchte Schweinewort ist in den Namen des Monats April und der Göttin Aphrodite enthalten. Heute bezieht sich die neuhochdeutsche Bezeichnung „Eber“ besonders auf das zahme männliche Zuchttier, dessen wilde Form „Keiler“ genannt wird. Dieses seit Anfang des 17. Jahrhunderts bezeugte Wort ist eine Substantivbildung zu „keilen“ in der Bedeutung „hauen, schlagen“ und wird nach den Hauern des männlichen Wildschweins gebildet, während der zahme Eber keine solchen vorstehenden Zähne aufweist.
Interpretation: Als angriffslustiges Tier, das ungestüm durch das Unterholz bricht, ist die wilde Stammform als Keiler das Sinnbild für unerschrockenen, unbeugsamen Kampfesmut. Krieger trugen oft Helme in Eberkopfform oder mit eng aneinandergereihten Hauern, und der Name des Tieres wurde als Symbol für Heldenkraft eine ehrende Bezeichnung von Fürsten. Das Epos machte es zum Bild der Kühnheit, Wildheit, Stärke, Tapferkeit, Furchtbarkeit und Schnelligkeit und ließ es auch zornig, leichtfertig und umherschweifend erscheinen. Der Wildeber ist ein Aasfresser und ernährt sich von Kadavern. Daher wird er mit dem Tod in Verbindung gebracht. In den Mythen Europas und Vorderasiens war er ein blutrünstiges Untier, das den männlichen Vegetationsgott tötete. Außerdem verfügte er über Zauberkräfte und giftige Stacheln, sodass man große Angst vor ihm hatte. Andererseits schrieb man den Eberhauern Unheil abwehrende Eigenschaften zu. Im türkischen Fundort Çatal Hüyük gibt es neolithische Darstellungen, in denen weibliche Brüste Unterkiefer und Zähne des Tieres umschließen, womit wohl angedeutet werden soll, dass einerseits Leben aus dem Tod entsteht, andererseits es aber über ihn triumphiert. Bei den Indoeuropäern galt der Eber als ein mit Sonnenkräften begabtes Tier und repräsentierte damit das männliche Prinzip. Aber wenn er in weißer Farbe auftrat, wurde er zum Mondtier und geriet damit in den weiblichen Symbolbereich. In dieser Hinsicht verkörperte er als Sumpfbewohner das feuchte Prinzip und bedeutete auch Sinnenlust und Schlemmerei.
In der indischen Mythologie ist der Eber Varaha die dritte Inkarnation von Vishnu. Dieser hohe hinduistische Gott nahm die Gestalt des männlichen Schweins an, um die noch sehr jugendliche Mutter Erde vor dem Dämon Hiranyakscha zu retten, der sie in seine Gewalt gebracht und in die Tiefen des Weltmeeres versenkt hatte. Varaha umschlang den lieblichen Leib der Gefangenen mit seinen Armen und hob sie mit seinen Hauern, an denen sie sich festhielt, wieder in die Höhe. Der Eber erscheint hier als mächtiges Sumpftier, das als Warmblütler der chthonischen Sphäre angehört und in einigen Texten auch als Gatte der Erdgöttin bezeichnet wird. Bei den alten Ägyptern verkörperte er das Böse als todbringende Bestie, in die sich der Gott Seth verwandelte, um seinen Zwillingsbruder Osiris umzubringen. Dieser gewalttätige Mörder repräsentierte wie der Eber im allgemeinen körperliche Stärke, Angriffslust und Männlichkeit. Er war der Gott der Wüste, des Sturmes, des Donners und des Erdbebens. Seth stellte die andere Seite von Osiris dar, nämlich den emotionalen Aspekt des Chthonischen, das blinde Wüten der entfesselten Naturkräfte, das so oft zerstörerische Wirkungen hat. Im Mythos wollte Horus der Jüngere seinen getöteten Vater rächen und kämpfte mit Seth; dabei verlor er eine Auge, sein Gegner die Hoden. Diese mythologische Auseinandersetzung erschien wieder im Bild des Ebers als Inkarnation des Bösen. Hier bedeutete es ein Attribut von Seth in seinem Aspekt als Sturmgott, wenn er das Auge des Himmelsgottes gierig verschlang. Außerdem wurde nach ägyptischer Vorstellung allmonatlich der Mond von einem großen schwarzen männlichen Schwein verzehrt, das Seth verkörperte.
Der Eber war im antiken Griechenland dem Kriegsgott Ares heilig, der zwar nicht als Ehemann, aber doch als wichtigster sexueller Partner der Liebesgöttin Aphrodite auftrat. Diese wiederum verliebte sich in den schönen Jüngling Adonis und stritt mit der Unterweltsherrscherin Persephone um seinen Besitz. Die Muse Kalliope entschied, dass der junge Mann zu gleichen Teilen beiden Göttinnen gehören sollte. Als aber Aphrodite den Schiedsspruch hintertreiben und durch Verführung Adonis ganz für sich gewinnen wollte, verbündete sich Persephone mit Ares und machte ihn auf den Jüngling eifersüchtig. Der Kriegsgott verwandelte sich daraufhin in einen wilden Eber und stürzte sich in dieser Gestalt voller Wut auf Adonis, der in den Bergen des Libanon jagte. Er spießte ihn vor den Augen Aphrodites auf seine Hauer und tötete ihn. In dieser Sage bedeutete der Keiler Zerstörung und Hader und symbolisierte außerdem den Winter, während Adonis die Macht der Sonne verkörperte. Der Eber, der den Jüngling umbrachte, wurde der Liebesgöttin geopfert, und sein Tod repräsentierte die sinnbildliche Vertreibung der winterlichen Finsternis durch das Licht des Frühlings. Zeus erlaubte Aphrodite am Ende der Geschichte, Adonis wieder aus dem Schattenreich holen und mit ihm die Hälfte des Jahres während der Sommermonate auf der Erde verbringen zu dürfen.
Die germanische Mythologie erwähnte den „Güllinbürsti“ (= „goldborstener Sonneneber“) als schützendes, im Kampf erprobtes Wappenbild mit der Bedeutung von Stärke und Heldenmut. Der Zwerg Brokki verfertigte den Eber, der ein kastriertes, domestiziertes Herden- und Haustier war. Seine Goldborsten symbolisierten die Sonnenstrahlen und leuchteten so stark, dass die Nacht dadurch erhellt wurde. Dieses männliche Schwein konnte Tag und Nacht schneller laufen als ein Pferd. Es diente als Reittier dem Fruchtbarkeitsgott Freyr, dem beim Opfer besonders der Eber geweiht war. Dieser schöne Jüngling mit langen blonden Haaren erwies sich als licht, hell, freundlich, friedfertig und liebenswürdig, auch wenn sein Name ehrfurchtgebietend „Herr“ bedeutete. Güllinbürsti ließ ihn als Sonnenhelden erscheinen, der Glück, Frieden, Sonnenschein und Regen spendete und daher auch für die Vegetation und den Ackerbau sorgte, aber auch als mutiger Krieger auftreten konnte. In seinem phallischen Kult gab es jährlich Opferungen, Prozessionen und ausschweifende Feiern der „Heiligen Hochzeit“, bei denen sexuelle Freiheit herrschte.
Beim Jul-Fest zur Wintersonnenwende an Weihnachten wurde Freyr jedes Jahr in Gestalt des Ebers geopfert, der stellvertretend für den Heros - König und die Sonne an diesem kürzesten und dunkelsten Tag des Naturkreislaufs sterben musste, um im nächsten Frühjahr wiedergeboren zu werden und neu auferstehen zu können. So erschien das männliche Schwein als Fruchtbarkeitstier, das im Mythos nie richtig getötet und aufgegessen werden konnte: Obwohl es immer wieder geschlachtet und im Kessel gekocht wurde, kehrte es stets gesund und munter zurück. Freyr geschah es ähnlich: Wie die Sonne, die bis zur Wintersonnenwende kleiner wurde und von da an im neuen Jahr wieder wuchs, musste er am Ende sich ins Dunkel des Schattenreiches zurückziehen und sich dort regenerieren, durfte aber im Frühling auf einem Schiff über das Meer erneuert zurückkommen.
Im jüdisch-christlichen Kulturbereich hat der Eber eine überwiegend negative Bedeutung. Psalm 80 Vers 14 erwähnt ihn z. B. als Verwüster des Weinbergs. Dahinter steht die Vorstellung, dass die männlichen Wildschweine gern einsam herumstreifen, in dichtem Gestrüpp an feuchten Orten leben und nachts hervorkommen, um auf Feldern und in Weingärten ihr Unwesen zu treiben. Der Weinstock, von dem der Psalm spricht, versinnbildlicht Israel; der verwüstende Eber bedeutet die Heiden, die Verfolger und Feinde des jüdischen Volkes und im übertragenen Sinne Satan.
Die christliche Ikonographie bezeichnete gelegentlich erstaunlicherweise den Eber auch als Symbol Jesu Christi, und zwar wegen der irrigen Ableitung des Wortes von Ibri, dem Stammvater der Hebräer (Ibrim). Besonders aber verkörperte er Wildheit, Zorn und Brutalität. Auch repräsentierte er das Böse an sich, die Sünden des Fleisches und das Walten grausamer Herrscher. Da der oberste germanische Gott Odin gelegentlich auch auf einem Eber ritt und in der Zeit der Christianisierung zur Teufelsgestalt des nord- und mitteleuropäischen Volksglaubens wurde, so gehörte natürlich auch bald das männliche Schwein zur Sphäre des Höllenfürsten. Es erschien dann als teuflisches Gespenst, als tiergestaltiger Toter oder als Korndämon. Positive Symbolbedeutung erfuhr es aber dann, wenn es bei frommen Einsiedlern im Wald Schutz vor Jägern suchte, wodurch es Attribut von St. Columban und St. Aemilianus wurde.
In der tiefenpsychologischen Forschung hat Erich Neumann in seiner „Ursprungsgeschichte des Bewusstseins“ von 1949 den Eber am eingehensten untersucht. Für ihn ist das Tier ein typisches Symbol des untergehenden und geopferten Sohngeliebten und die Ebertötung die älteste mythologische Darstellung der Ermordung des Jünglings durch die Große Mutter. Wenn die göttliche Magna Mater als Sau später durch die Kuh verdrängt wird, ersetzt beim Opfer der Stier das männliche Schwein. Auf der Stufe des sterbenden Sohnes trägt die umfassende androgyne Gestalt der „furchtbaren Mutter“ auch „männliche“ Züge, die hier noch als Teile ihrer uroborischen Natur auftreten. So ist sie als Gebärende das Schwein, als Tötende der Eber. Dies erscheint als die eine Deutung des Tieres, das in einer anderen Interpretation zu einem Aspekt der Jünglingsgestalt selbst wird. Der Eber bedeutet dann das Äquivalent der Selbst – Destruktion, die im Mythos als Selbstentmannung auftaucht. Das tötende Männliche, das hier noch keinen väterlichen Charakter hat, ist Symbol der Destruktionstendenz, die sich im Selbstopfer gegen die eigene Person wendet. Während der Eber anfangs im Matriarchat die wilde und zerstörerische chthonische Macht der uroborischen Großen Mutter ist, wird er später in der Umkehrung des Patriarchats zum Inbegriff des Bösen. In der ägyptischen Mythologie gehört zur Mutter – Sau Toeris oder Isis noch der „große Gott“ Seth als zeugender Eber. Seine Opferung wird dann von der Tötung des Osiris abgelöst, bei der Seth zum mörderischen Mutterbruder und damit zur Verkörperung des Negativen an sich wird.
Literatur: Standard
Autor: Schröder, Friedrich