Chaos
Keyword: Chaos
Links: Abgrund, Kosmos, Mandala, Tiefe
Definition: Das griechische Wort Chaos bedeutet "gähnender Abgrund" oder "abgrundtiefe Leere des Raums". Chaos bezeichnet ein Zustand vollständiger Unordnung oder Verwirrung und ist damit der Gegenbegriff zu Kosmos, dem griechischen Begriff für die (Welt-)Ordnung oder das Universum.
Information: Viele Schöpfungsmythen beginnen mit Bildern des Chaos wie die in Finsternis getauchten Wasser, eine formlose Masse, ein vermengtes Ganzes, in dem eine Abgrenzung nicht möglich ist, das kosmogonische Ei, ein Meerungeheuer, ein Urriese usw. In archaischen Gesellschaften wurde der unbekannte Raum dem Chaos gleichgestellt, die Orientierung erfolgt durch das Achsenkreuz (Mandala) der vier Himmelsrichtungen. Rituale der orientatio wiederholen symbolisch die Kosmogonie.
In Hesiod's Theogonie stehen zwei Prinzipien am Anfang, "Chaos, das gestaltlose und Erde, die gestalthafte. Sie sind eher Ur-gründe als Ur-sprünge, sie gebären auch ohne ein zeugendes Paar miteinander zu bilden." (Kerényi 1978, S. 195)
In der orphischen Kosmogonie gebärt die Nacht das Weltei, aus dem Eros entsteht. Dieser auch Phanesg enannte Lichtgott hat androgyne Züge und enthält den Samen aller Götter, Menschen und Dinge. In Ägypten ist Nun eine grenzenlose, dunkle Wasserfläche mit Keimen der Schöpfung in sich. In ihr bildet sich ein Lehmhügel, auf dem der vielgestaltige Urgott auftaucht, der auch aus einem Ur-Ei dort hervorgehen kann. Mit diesem Ur- oder Schöpfergott (Atum, Ptah) verbindet sich später der Sonnenaspekt (Atum-Re), der als Repräsentant der kosmischen Ordnung den weiterhin existenten Mächten des Chaos (Apophis-Schlange) gegenübersteht.
In Babylonien wird das Chaos als Urmeer mit einem Seeungeheuer dargestellt, die Tiamat. Marduk, der Sonnenhelden tötet das Ungeheuer und bildet aus seinem zergliederten Körper den Kosmos. Der Drache versinnbildlicht hier das nicht Manifestierte, das vor der Schöpfung unzerteilte Eine.
Im biblischen Schöpfungsmythos ist die Erde zunächst ein finsteres Urmeer, ein Tohuwabohu (wüst und leer). Dann wird Licht und es entstehen Himmel und Erde. In vielen Schöpfungsmythen vollzieht sich der Übergang vom Chaos zur Ordnung durch die Trennung von Himmel und Erde.
Interpretation: Kosmogonische Vorstellungen wie das Weltei oder das Wasser bzw. Urmeer tauchen als philosophisches Ei oder aquapermanens bzw. prima materia im alchemistischen Opus wieder auf, welches die untere Entsprechung zum Schöpfungswerk Gottes darstellt. Der Urzustand der Materie (prima materia bzw. massa confusa oder informis opus magnum) entspricht dem Chaos, welches von Lebenssamen (fermentatio) geschwängert oder von Lichtfunken, den scintillae durchsetzt ist. Die darin in nuce enthaltene neue Form der Materie entspricht nach Jung den reinen Formen der platonischen Ideen und damit den Archetypen des Unbewussten. Anhand der Lichtfunken ("scintillae") im Chaos entwickelt Jung die paradoxe Vorstellung vom Unbewussten als multiples Bewusstsein (Jung 1976, S. 214-226).
Psychologisch bedeutet das Chaos den unbewussten Anfangszustand, die unbewusste Identität, in dem das Ich-Bewusstsein keimhaft angelegt ist. Das Symbol dafür ist der Uroboros als das Gegensatz enthaltende, vollkommene Große Runde, welches die Totalität der Welt als Anfang und Ende gleichermaßen umfasst. Hier muss therapeutisch, so Jung, gegenüber der emotionalen Turbulenz eine vernunftgemäße, überlegene geistig-seelische Position errichtet werden.
Dies entspricht dem Aufbau einer geistigen Gegenposition zur inzestuösen unio naturalis (separatio, extractio) und der Rücknahme der Projektionen. Bei einer zu einseitigen, starren Bewusstseinshaltung ist dagegen eine Auseinandersetzung des Ich mit seinem Gegenspieler, dem Unbewussten erforderlich. Das Ich muss auf die rationale Kontrolle des Unbewussten verzichten und seine Ohnmacht in dieser Hinsicht akzeptieren.
Literatur: Standard
Autor: Krapp, Manfred