Bauch

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Keyword: Bauch

Links: Körper, Essen, Mitte, Nahrung, Selbst, Trieb

Definition: Körperregion, die sowohl die Verdauungsorgane (Darm), die weiblichen Fortpflanzungsorgane sowie – in der Schwangerschaft – das heranreifende ungeborene Kind beherbergt.

Information: Das Wort Buch gehört wahrscheinlich im Sinne von "Geschwollener" zur indogerm. Wortgruppe von mhd "biule" (= Beule). Zugrunde liegt vermutlich eine Lautgebärde für die aufgeblasenen und daher dicken Backen, was auf die Funktion des Bauches beim Atmen verweisen könnte; vgl. griech. physa = Blasebalg. Blase geht auf dieselbe Lautgebärde 'phu' = aufblasen, sprengen, platzen, zurück. Nach Erkenntnissen der Neurogastroentereologie gibt es ein "Bauchhirn", das als eigenständiges Nervensystem um den Verdauungstrakt liegt, die Energiegewinnung hier koordiniert, mit dem Kopfhirn zwar verbunden ist, aber weitgehend selbstständig arbeitet, wobei Zelltypen, Wirkstoffe und Rezeptoren in Bauch- und Kopfhirn exakt dieselben sind.

Interpretation: Die Trennung von Kopf und Bauch, wonach dem Bauch die Triebwelt, Affekte und die "niederen Gefühle" zugeordnet werden, der Kopf dagegen als Geistzone gilt, entspricht einer körperfeindlichen, patriarchalen Auffassung. Dagegen spielt die "Bauchkunst" in der japanischen Welt eine bedeutsame Rolle; sie meint jedes Tun, das vom Bauch her vollendet ist. Auch das Denken soll vom Bauch her geschehen, um die Teilhabe des ganzen Menschen am Denken zu gewährleisten. Wenn ein Mensch nur mit dem Kopf denkt, wird dies als zu verstandesmäßig-einseitig, zu oberflächlich und nicht mit dem Wesen des Menschen verbunden kritisiert.

Um mit dem Bauch zu denken, muss man Hara (japanisch = Bauch) haben. Natürlich nicht im materiellen Sinn physischer Fülle, sondern in geistigem Sinn, wobei das Geistige jedoch seine physische Entsprechung hat. Daher wird die "Bauchkunst" durch geistiges und körperliches Üben erreicht und ist eine Dauerübung, um ein Mensch mit "gesetztem Bauch" zu werden, d. h. Stetigkeit des Gemüts zu erlangen, während dem Menschen "mit ungeübten Bauch" die stabile Mitte fehlt, auf die es zur Selbstverwirklichung des Menschseins ankommt. Hara bezeichnet die "leibhaftige Verkörperung und bewußte Präsenz der ursprünglichen Mitte des Lebens im Menschen". (Dürckheim, 1970, S. 8). Es "bedeutet jenes umfassende Empfangs- und Gestaltungsorgan, das im Grunde der ganze Mensch" ist."Das im Hara verankerte Selbstbewußtsein ist das Bewußtsein eines Selbstes, das mehr ist als das bloße Ich." (Dürckheim, 1970, 47) Durch Verankerung im Hara bringt sich der Mensch in seinen inneren Schwerpunkt, "dessen Gefestigtheit den Menschen gegen die Labilität seiner Ich- und Triebkräfte feit und darin die Verbundenheit mit tieferen Kräften anzeigt." (Dürckheim, 1970, S. 47)

Auf dem Hintergrund dieses Wissens erscheint die im Westen weitverbreitete Einstellung gegen den Bauch bedenklich. Der Befehl "Brust raus – Bauch rein" verhindert nicht nur die entspannte Tiefenatmung und Verankerung in der eigenen Leibmitte, er führt auch zu einer Körperhaltung, die eine falsche innere Haltung nahelegt und fixiert. Er kann damit zu einer Überbetonung des Ichs und seiner Rationalität, zu einem Verlust der "Erdmitte", zu einem labilen, weil zu hohen Schwerpunkt und zu entsprechend unbewusster Angst veranlassen.

Wahrscheinlich spiegelt sich in dieser westlich-soldadatisch-heldischen Körperhaltung die Unausgewogenheit im matriarchal-patriarchalen Spannungsfeld: Der Bauch verweist mit seinem Fruchtbarkeitsaspekt und Gefäßcharakter auf seine symbolische Verbindung zum Archetyp der Großen Mutter, deren Kernsymbol das enthaltende, umhüllende, schützend-bergende Gefäß ist – wie der Bauch sowohl die lebensenergie-spendende Nahrung wie auch das entstehende neue Leben enthält und schützt.

Allerdings handelt es sich bei diesen Inhalten um lebendige, daher veränderliche Prozesse, woraus sich der Wandlungsaspekt des Bauches als Retorte, Kessel, Topf usw. ergibt.

Die negative Seite des Bauchgefäßes wird im Festhalten und Verschlingen, in der Maßlosigkeit seiner Fülle deutlich. Da in der japanischen "Bauchkunst" sowohl aktive wie rezeptive Fähigkeiten geübt bzw. erzielt werden, könnte es sich beim Harabewusstsein um eine Harmonie von matriarchalem und patriarchalem Bewusstsein handeln. Bemerkenswert ist, dass im Westen noch in der Kunst der Romanik und Frühgotik die Bauchregion betont ist, teilweise geradezu als Ort, von welchem ein Energiewirbel auszugehen scheint.

Hierzu Parallelen aus Mythologie: Jonas im Walfischbauch; Baubo (= kleinasiatische-griechische Fruchtbarkeitsgöttin, deren Gesicht sich auf ihrem Bauch befindet. Hierzu schreibt Erich Neumann: "durch die Beschränkung auf die Bauch- bzw. Schoßpartie (wird) das Unmenschliche und Unheimliche, die radikale Autonomie des Bauches gegenüber den 'höheren Zentren' von Herz, Brust und Kopf, ausgesprochen und als heilig inthronisiert." (Neumann, 1985, S. 139)

Sprichworte: Ein voller Bauch studiert nicht gern. Sich den Bauch vor Lachen halten. Lachen, dass einem der Bauch weh tut. Auf vollem Bauch steht ein fröhlich Haupt. Der Unmäßigen Gott ist der Bauch. Ein hungriger Bauch hat keine Ohren.

Literatur: Standard

Autor: Rafalski, Monika