Atman

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Keyword: Atman

Links: Einheit, Ganzheit, Gottesbild, Selbst

Definition: Der aus dem Sanskrit, der Gelehrtensprache Altindiens, stammende Begriff symbolisiert in der hinduistischen Religion den göttlichen Kern im Menschen, das wahre, unsterbliche Selbst. Atman ist identisch mit Brahman, der das kosmische Prinzip bedeutet. Atman unterscheidet sich von Brahman dahingehend, dass er als das Selbst, das unsterbliche, zeitlose, ewige Sein im Menschen gesehen wird, das Teil hat an Brahman, dem absoluten Bewusstsein.

Information: Obwohl Atman eigentlich nicht beschrieben werden kann, weil er grenzen-, raum- und zeitlos ist und ein Mensch, der Atman noch nicht in sich verwirklicht hat, sich eigentlich auch keine Vorstellung von ihm machen kann, wird in vielen Texten indischer Spiritualität versucht, diese, wohl nur intuitiv zu fassende Erkenntnis, dem Suchenden zu vermitteln: "Das Selbst kann nicht erkannt werden durch jemanden, der nur in den Schriften bewandert ist, ohne ihren Gehalt verwirklicht zu haben. [...] Der Atman ist feiner als das Feinste und durch Argumente nicht erkennbar [...] Wie wird Atman begriffen? Wenn Atman von einem Lehrer erklärt wird, der sich aus der Täuschung der Dualität befreit hat und eins geworden ist mit Brahman, dann schwinden alle Zweifel, ob Atman existiert oder nicht. Es ist das Wesen der Atman-Erkenntnis, allen Zweifeln ein Ende zu bereiten. Wenn Atman gelehrt wurde, der das innerste Selbst des Menschen ist, bleibt nichts mehr zu erkennen übrig, denn kein erkennbares Objekt ist mehr vorhanden. Die Verwirklichung der Einheit des Atman löst alle Erkenntnis auf, da es nichts mehr zu erkennen gibt." (Die Katha-Upanishad, 1989, S. 53-54).

Auch in der „Bhagavadgita“, dem "Gesang des Erhabenen", der als "verehrungswürdiges Hohelied des Hinduismus" gepriesen wird, heißt es:

"Rauch versteckt Feuer, Staub den Spiegel,

Der Schoß das Ungeborene, die Gier den Atman.

Gier versteckt den Atman in ihren gierigen Flammen,

Sie, des Weisen getreue Feindin.

Sinne, Verstand und Lust sind Öl ihrem Feuer.

So wird getäuscht, der im Leibe wohnt,

Und sein Unheil verwirrt." (Bhagavadgita, 1954, S. 71-72).

Der Buddha Siddhartha Gautama, der aus dem Hinduismus hervorgegangen ist, jedoch aufgrund von jahrelanger, strenger Selbsterfahrung seine eigene Lehre, den Buddhismus, entwickelt hat, leugnete Atman. Die Anatman-Doktrin, Grundlage des Buddhismus, besagt, dass es kein Selbst im Sinne einer unvergänglichen, ewigen und unabhängigen Substanz gibt.


Interpretation: C. G. Jung hat den Begriff Atman aufgegriffen und sein Verständnis des Selbst, das eine zentrale Stelle in seiner Psychologie einnimmt, daraus abgeleitet."Durch die völlige Abziehung jeglicher Anteilnahme am Objekt entsteht notwendigerweise im Innern ein Äquivalent der objektiven Realität, rep. eine völlige Identität des Innen und des Außen, welche technisch als das tat twam asi (das bist du) bezeichnet werden kann. Durch die Zusammenschmelzung des Selbst (Atman) mit dem Wesen der Welt (d. h. mit den Beziehungen des Subjekts zum Objekt), so dass die Identität des inneren und äußeren Atman erkannt wird. (Jung, GW 6, § 179).

Der Bewusstseinsforscher Ken Wilber schließt sich Jungs Auffassung an und sieht im Atman die Kraft, welche die Evolution antreibt. Er schreibt in seinem Buch "Das Atman-Projekt": "Das Höchste und das Niedrigste, das Unendliche und das Endliche, Seele, Geist und Materie – sie alle sind als undifferenziertes und unbewußtes Potential eingefaltet: Das ist das Grund-Unbewußte. Evolution ist die Entfaltung jenes eingefalteten Potentials – all die verschiedenen Arten des Seins können dann schließlich aus dem Grund-Unbewußten auftauchen, angefangen bei der niedrigsten (Pleroma) und endend mit der höchsten (Atman). [...] Am Ende der Evolution sind alle Strukturen, die im Grund-Unbewußten eingefaltet sind, im Bewußtsein aufgetaucht, so daß das Grund-Unbewußte sozusagen "ausgezehrt" ist und nur Atman oder Bewußtsein-an-sich zurückbleibt." (1990, S. 264-265)

Denselben Prozess schildert in poetischer Sprache folgende Geschichte aus der Vedanta-Tradition, die zur Quintessenz der heiligen Bücher des Hinduismus gehört:

Auf einem Baum sitzen zwei Vögel, einer auf der Spitze und der andere auf einem Zweig ganz unten, nahe der Erde. Der Vogel auf der Spitze ist ruhig und majestätisch, er ist in seine eigene Herrlichkeit versunken und schweigt. Der Vogel auf den unteren Zweigen dagegen hüpft unruhig von Ast zu Ast, isst abwechselnd von den süßen und bitteren Früchten und ist bald glücklich, bald unglücklich. Nach einiger Zeit gerät er an eine ungewöhnlich bittere Frucht und fühlt sich angeekelt. Er blickt hinauf und sieht den anderen Vogel mit dem goldenen Gefieder, der weder süße noch bittere Früchte isst, der weder glücklich noch unglücklich ist, sondern ruhig und selbst bewusst. Der untere Vogel möchte auch diesen Zustand erreichen und beginnt Zweig um Zweig nach oben zu flattern. Doch bei den süßen Beeren, die er erwischt, vergisst er es aber bald und wendet sich nur wieder den Früchten zu. Doch abermals stößt er wieder auf eine ungewöhnlich bittere Frucht, die ihn unglücklich macht, und er blickt hinauf und versucht, dem oberen Vogel näher zu kommen. So geschieht es mehrmals, bis er endlich dem oberen Vogel sehr nahe ist und das Licht von dessen Gefieder seinen eigenen Körper umhüllt. Er spürt einen Wandel und scheint sich aufzulösen. Er kommt noch näher, und alles um ihn herum scheint zu verschwinden. Schließlich begreift er den wunderbaren Wandel. Der untere Vogel war nur ein Schatten, eine Reflexion des oberen. Er war in Wirklichkeit immer der obere Vogel gewesen. Sein Kosten der süßen und bitteren Früchte, sein Weinen und Glücklichsein waren nur ein Traum. Der wirkliche Vogel war da oben, ruhig, herrlich und majestätisch, jenseits von Kummer und Leid.

Literatur: Standard

Autor: Seifert, Ang Lee