Ritual

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Keyword: Ritual

Links: Fest, Initiation, Ritualisierung, Wandlung, Weg

Definition: Unter einem Ritual (lat. rituale, ritualis: den religiösen Brauch betreffend) versteht man eine regelmäßig stattfindende, weitgehend gleich ablaufende Handlungsfolge, die meist symbolischen Gehalt besitzt und sich symbolischer Formen (Mythos, Religion, Symbol) bedient.

Information: Mit dem Begriff Ritus werden Teilbereiche eines gesamten Rituals oder einzelne rituelle Handlungen innerhalb eines Rituals bezeichnet. Symbolisch gestaltete Rituale werden meist in feierlichen und religiösen Zusammenhängen verwendet. Hier ist mit Ritual die Gesamtheit der festgelegten Bräuche und Zeremonien eines religiösen Kultes in Worten, Gesängen, Gesten und Handlungen gemeint. Rituale haben die Funktion, auf das Numinose und das Mysterium (Mystik, Mystos-Prinzip) einzustimmen und hinzuführen.

Aber auch viele alltägliche Handlungsabläufe beispielsweise vom morgendlichen Klingeln des Weckers bis zum Verlassen des Hauses, haben rituellen Charakter.

Interpretation: Solche automatisierten, ritualisierte Verhaltensweisen vermitteln dem Menschen (und auch Tieren) in der Komplexität und Unvorhersagbarkeit (Chaos) des Lebens Ordnung und Orientierung, Sicherheit, Geborgenheit und Sinn. Wenn selbst einfache alltäglich-vertraute rituelle Handlungen verändert oder unterbrochen werden, wird das psychische Gleichgewicht, das auf ein gewisse Regelmäßigkeit, Gleichförmigkeit und Vorhersagbarkeit der Ereignisse angewiesen ist, irritiert oder gar tiefgreifend gestöret.

Während im Tierreich instinktive rituelle Verhaltensweisen offensichtlich sind - z. B. die vielen, manchmal sehr komplexen und bizarren Balz- und Paarungsrirtuale - ist sich der heutige Mensch seiner instinktiven Rituale meist gar nicht recht bewusst (Bewusstsein, Unbewusstes), etwa seiner Begrüßungs- und Beziehungsrituale, die im Rahmen der gesellschaftlichen Etikette vollzogen werden.

Im politischen Bereich allerdings wird die Bedeutsamkeit von Ritualen auch heute noch offensichtlich und deren Nicht-Einhalten kann empfindliche Störungen im Kontakt und Austausch der Nationen untereinander auslösen.

Neben den zahlreichen kleinen alltäglichen Ritualen (Schlafen-Wachen, Häuslichkeit-Öffentlichkeit, Ich-Du etc.) gibt es im Lebensvollzug auch die größeren rituellen Passagen. Die Feste des Jahres, die sich mit den Jahreszeiten und der kirchlichen Festen verbinden, der Eintritt ins Leben, die Aufnahme in eine Gemeinschaft (z. B. Schule, Konfirmation), das Erwachsenwerden und die Pubertäts-Einweihungsriten, das Verlassen des Elternhauses, der Abschluss der Berufsausbildung, die Hochzeit und die Gründung der eigenen Familie, der Übergang zum Alter, der Tod. Diese Ereignisse sind auch heute noch rituell eingebettet, auch wenn sich die Formen geändert haben. So sind z. B. im religiösen Raum Konfirmation, Kommunion und Firmung an die Stelle ursprünglicher Initiationsriten getreten.

Auch die therapeutische Beziehung hat oft einen deutlichen rituellen Charakter, was dem doppelten Sinn des Rituals entspricht: Unterstützung einer Hinführung und Öffnung auf das Unbewusste, Herstellung und Sicherung eines geschützten Rahmens und Raumes, in der eine solche Auseinandersetzung auch gefahrlos möglich ist.

Natürlich können Rituale auch beengende Absicherungsfunktion (Abwehr) bekommen und die schöpferische Spontanität und Flexibilität des Lebens (Libido, Kreativität, Schöpferisches) zugunsten der erhöhten Sicherheit und Angstreduktion (Angst) drastisch beschneiden, wie sich zum Beispiel in der Zwangsneurose zeigt. Im religiösen Bereich können Rituale dann natürlich, wenn sie hauptsächlich zum Zweck der Abwehr neuer Erfahrung eingesetzt werden, eine der ursprünglichen Intention entgegensetzte Wirkung haben. Anstatt den Zugang zur individuellen religiösen Erfahrung zu fördern, wird er durch das Ritual verhindert, weil es nicht mehr der psychischen Beschaffenheit des Ausübenden entspricht.

Bei den klassischen religiösen Ritualen lassen sich meist vier Phasen unterscheiden: 1. Die Einstimmungs- und Vorbereitungsphase (Fasten, Reinigung, Verlassen des alltäglichen Lebens etc.); 2. die zum zentralen Inhalt oder Symbol hinführende Prozess- und Aktionsphase (Gebet, Gesang, Meditation etc.); 3. die Steigerung zum Höhepunkt und die Offenbarung des Symbols (die eigentliche heilige Handlung); 4. die Beendigung des Rituals und die Integration (Gebet, Gesang, Segen, Rückkehr und Integration der Erfahrung in das alltägliche Leben).

Diese Phasenfolge entspricht weitgehend der dynamischen Struktur der von Jung und Neumann beschriebenen mythologischen Helden- und Nachtmeerfahrt (Held, Heros-Prinzip, Nachtmeerfahrt), auch dem Ablauf von Initiationszeremonien bei Geheimgesellschaften und Naturvölkern (Vorbereitung, Tod, Neugeburt, Wiedereingliederung), dem Aufbau des klassischen Dramas (Ausgangssituation, Verwicklung-Höhepunkt, Lösung, Ausgestaltung der Lösung) und den Phasen schöpferischer Prozesse (Vorbereitung, Inkubation, Lösungsfindung, Realisierung), siehe hierzu inbesondere das Stichwort Wandlung.

Literatur: Standard

Autor: Müller, Lutz