Anima, Animus

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Keyword: Anima, Animus

Links: Bios-Prinzip, Eros-Prinzip, Held, Heros-Prinzip, Logos-Prinzip

Definition: Anima/Animus (lat.: Lufthauch, Atem) sind Begriffe, die in der Analytischen Psychologie für die inneren weiblichen und männlichen Anteilen im Menschen verwendet werden. Die Anima bezeichnet die spezifische Gesamtheit aller bewussten und unbewussten Aspekte des weiblichen Prinzips im Mann, der Animus die spezifische Gesamtheit aller bewussten und unbewussten Aspekte des männlichen Prinzips in der Frau.

Information: Unter den Begriffen Anima und Animus wurde philosophisch schon früher allgemein "Seele" verstanden. Anima bezeichnet dabei mehr den antreibenden, lebendigen, naturhaften, "animalischen" Aspekt, der z. B. auch im Vordergrund der kosmischen Anima-mundi-Vorstellungen und -Bilder steht. Animus als Spiritus (lat.: Hauch, bewegte Luft, Wind, Lebenshauch, Atem) betont den geistig-lenkenden Aspekt, wie er etwa in den Begriffen "Spiritus sanctus" (der heilige Geist) oder "Spiritus Rector" (leitender, treibender, belebender Geist) zum Ausdruck kommt.

Unterschieden werden die Bilder von Anima/Animus vom Archetyp der Großen Mutter bzw. des Großen Vaters und den Mutter- und Vaterbildern, die jeder Mensch in sich trägt. Anima/Animus entwickeln und differenzieren sich im Laufe der psychischen Entwicklung aus Mutter- und Vaterarchetyp heraus. Diese psychische Entwicklung aus der Abhängigkeit und Bindung an die Eltern hin zur Entwicklung von Eigenständigkeit und Beziehungsfähigkeit gegenüber gleichaltrigen Partnern objektstufig, hin zur Gewinnung eigener unabhängiger Weiblichkeit und Männlichkeit und Kontaktaufnahme mit den gegengeschlechtlichen inneren Anteilen zur Entwicklung von psychischer Ganzheit subjektstufig, bezeichnet E. Neumann als Befreiung aus der Gefangenschaft. Verbreitet ist dieses Motiv der Befreiung aus der Gefangenschaft in männlichen Heldengeschichten, in denen die Gefangene den Zugang zum Schatz, manchmal auch den Schatz selbst verkörpert. Der Weg zum Gegengeschlecht unterscheidet sich allerdings, das zeigen die Heldengeschichten der Frauen, je nachdem ob eine eher männlich oder weiblich orientierte Persönlichkeit mit ihren jeweils spezifischen Fähigkeiten und Kenntnissen auf der Suche ist.

Interpretation: Die psychische Wirkung, die große Faszination, die objektstufige und subjektstufige Bedeutung von Anima-/Animusgestalten und -gestaltungen wird deutlich in den großen Paaren und den Helden- und Liebesgeschichten der Menschheit, etwa: Amor und Psyche, Tristan und Isolde, Cäsar und Kleopatra, Romeo und Julia, Scarlett O'Hara/Vivien Leigh und Rhett Butler/Clark Gable (Vom Winde verweht), Rick Blaine/Humphrey Bogart und Ilsa Lund/Ingrid Bergman (Casablanca), Leonardo di Caprio und Kate Winslet (Titanic).

Weibliche bzw. männliche Gestalten und Symbole in Träumen, Fantasien, Imagination können, je nach Ausgangslage und Entwicklung des Ich-Bewusstseins Mutter/Vater-, Schatten-, Anima-/Animus- oder Selbstaspekte in sich tragen. Generell können gegengeschlechtliche gleichaltrige und jüngere Figuren als Anima-/Animusfacetten interpretiert werden, sind sie gleichgeschlechtlich, verkörpern sie meist Schattenaspekte, so das traditionelle Verständnis von C. G. Jung. Sind Figuren älter, reich an Erfahrung und Weisheit oder enthalten sie Aspekte des Ewigen und Unendlichen und Unveränderlichen, so verweisen sie vermutlich eher auf Eltern- oder Selbstaspekte. Die Wirkung der Anima öffnet das männliche Ich zum Unbewussten und Weiblichen, die Wirkung des Animus führt das weibliche Ich in die Aktivität und Autonomie. Anima-/Animussymbole können befruchtend, verlebendigend und befreiend wie auch kalt, gefährlich, gefangensetzend, tötend erscheinen. Sie sind wie alle archetypischen Energien nur polar verstehbar.

C. G. Jung Jung unterscheidet vier Stufen in der Kultur des Eros und damit auch des Animabildes (vgl. Jung, GW 16, §361). Die erste Stufe (in Gestalt der Ur-Mutter, der Eva) bildet den rein biologischen, erdhaften, vorwiegend der Fortpflanzung dienenden Aspekt (vgl. Bios-Prinzip), die zweite Stufe betrifft einen überwiegend sexuellen Eros auf ästhetischem und romantischem Niveau (z. B. in Gestalt der Helena), die dritte Stufe erhöht den Eros zur höchsten Wertschätzung und vergeistigt ihn (z. B. in Gestalt der Maria, geistige Mutterschaft) und auf der vierten Stufe findet sich die Weisheit (z. B. in Gestalt der Sophia). Anima-Symbole weisen häufig eine Mischung dieser Stufen auf: Elemente der jungen, jungfräulichen, frühlingshaften, erblühenden Natur, des Körpers und von Landschaften. Sie sind mit Schönheit, Schmuck, Erotik, Sexualität und Animalischem, mit Bindung, Nähe, Beziehung, Harmonie, Einfühlung und Empfindsamkeit, Zartheit und Zärtlichkeit, Freude, Genuss, Ekstase, geheimnisvoll-verführerischer, hexenhaft-nixenartiger auch wissend-heiliger Faszination und mit kreativ-schöpferischen Attributen verbunden.

Assoziationen und Gestaltungen von persönlichen Anima-Symbolen können mit den kollektiven Bildern von Anima/Animus in fast unendlicher Vielzahl angereichert werden, z.B. als Eva mit dem Apfel im Paradies, als Heilige Maria und Hure Maria Magdalena, als Venus im Gemälde von Botticelli, als verheißungsvoll unbestimmte Mona Lisa, als gefährliche Loreley, Nixe und Seejungfrau in volkstümlicher Dichtung; als Blauer Engel, Tänzerin, Schauspielerin und verführerischer Hure in Romanen, als Begleiterin, Freundin, Schwester und Gefährtin wie z. B. Pamina in der Zauberflöte, als keusche, naive, kindliche, unschuldige und vieldeutige Mädchengeliebte und Lolita und als unzählige weitere weibliche Gestaltungen aus Vergangenheit und Aktualität.

E. Jung (vgl. Jung, E., 1967) hat vier Aspekte oder Stufen des Animus unterschieden: Kraft (z.B. "Naturbursche", Abenteurer), Tat (z.B. mutige Helden, Sportler, Tenöre), Wort (z.B. Künstler, Schauspieler, Manager, Politiker) und Geist (Pfarrer, Therapeuten, Gurus). Häufig trete der Animus in Fantasien und Träumen auch in der Mehrzahl auf, als Ausdruck einer, wie C. G. Jung vermutet, die bewusste, eher monogam orientierte Einstellung der Frau kompensierende polygame Tendenz. Animus-Symbole bringen oft phallische Elemente zur Geltung, seien sie körperlich-sinnlicher oder auch geistiger Natur: Mut, Entschlossenheit, Energie, Ausdauer, Willensstärke, Standfestigkeit, Zielstrebigkeit, Eindringungsvermögen, Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit, Aufrichtigkeit, Autonomie und Eigensinn, sportlich-muskulöser, athletischer Körper, animalisch-ekstatische Lebenskraft und Potenz, Möglichkeit zu Kampf und Aggression, Souveränität, Kompetenz und Wissen, teuflisch-magische Verführung, Erfolg, Macht und Geld, Abenteuerlust, Zukunftsorientiertheit.

Weltweit und zeitübergreifend erscheinen sie sowohl im Großen Helden, Befreier, Lichtbringer, wie auch in den Helden des Alltags. Eine ungeheure Vielzahl von positiven und negativen Animusgestalten werden in Mythen, Sagen, Märchen, Bildender Kunst dargestellt: Abenteurer, Ritter, Westernhelden, Magier, Götter, Kämpfer und Retter wie Siegfried, Tarzan und Rambo, Feldherrn und Politiker wie Cäsar, Napoleon und John F. Kennedy; Philosophen, Wissenschaftler, Wirtschaftsführer, legendäre Sportler, Pop-Idole, Schauspieler u. v. m.

Anima/Animus-Symbole haben eine besonders hohe Faszination, wenn sie in Träumen, Fantasien und Imaginationen auftauchen. Reale Beziehungen sind häufig von den Anima/Animus-Facetten überlagert und können zu starken Projektionen führen, die es sehr schwierig machen, mit dem realen Partner in Beziehung zu treten.

Literatur: Standard

Autor: Müller, Anette