Ohr
Keyword: Ohr
Links: Auge, Klang, Kopf, Meditation, Musik, Sprache, Spirale, Stille
Definition: Das Ohr ist ein Sinnesorgan, mit dem akustische Signale (Schall Töne, Geräusche) wahrgenommen werden.
Information: Beim Hören dringen Schallwellen durch den Gehörkanal zum Trommelfell, wo sie in Vibrationen umgesetzt werden. Diese werden wiederum zur Gehörschnecke geleitet. Dort werden sie von Millionen kleiner Härchen in elektrische Nervenimpulse umgesetzt, die das Gehirn verarbeiten kann. Der Hörbereich (Hörzone) des menschlichen Ohrs reicht von etwa 16 Hertz bis 20. 000 Hertz. Im Alter lässt das Hörvermögen für hohe Frequenzen jedoch deutlich nach.
Interpretation: Ohr und Hören sind sprachverwandt. Dem Ohr wird eine weibliche, passiv aufnehmende Funktion zugeschrieben im Gegensatz zum Auge, das die männlich aktive, geistige Seite symbolisiert. Es ist nächtlich (kann in der Dunkelheit hören), während das Auge dem Tag zugeordnet ist (kann in der Dunkelheit nicht sehen). Was mit dem Ohr aufgenommen – ge-hört – wird, kann hörig machen oder zum Ge-horchen zwingen. Entsprechend seiner anatomischen Beschaffenheit bestehen Bezüge zur Spirale, zur Schnecke, zum Labyrinth, zur weiblichen Empfängnisbereitschaft.
Ohr, Hören und Stille gehören zusammen, denn Botschaften können nur aufgenommen werden, wenn ansonsten Stille herrscht. In der christlichen Ikonographie wird die Befruchtung der Jungfau Maria gelegentlich als ein Eindringen des Heiligen Geistes in Gestalt der Taube in ihr Ohr dargestellt. Wem das Ohr geöffnet wird, wer „Ohren hat, zu hören“ (Mt. 11, 15), der vernimmt eine wichtige Botschaft, eine Offenbarung: „ [...] die Ohren hast du mir aufgetan“, heißt es in dem Psalm Davids (40. Ps., 7). O. und Wort stehen in enger Beziehung. Christus sagt: “lasset meine Worte zu euren Ohren eingehen.“ Apg. 2, 14)
Auch Ohr und Klang stehen in enger Übereinstimmung, so heißt es im ersten Sonett an Orpheus von R. M. Rilke: „ [...] O Orpheus singt! O hoher Baum im Ohr! / Und alles schwieg [...] “ In der germanischen Mythologie flüstern die zwei Raben Hugin (Denken) und Munin (Erinnerung) Odin alles, was sie in der Welt beobachten, direkt ins Ohr.
Auch das Böse kann durch das Ohr eingehen. Der Teufel bläst es hinein. Auf diese Vorstellung geht die Redewendung „Wer hat dir das eingeblasen?“ zurück.
Die heutige Moderne steht unter der Dominanz des Auges, während die mythische Zeit unter dem Zeichen des Ohres stand. Schon Odysseus, der erste „moderne“ Held verweigerte sich den Versuchungen der mythischen Vergangenheit, indem er sich und seinen Männern die Ohren verstopfte, um den Gesang der Sirenen nicht zu hören. In ostasiatischen Kulturen ist ein großes Ohr mit langen Ohrläppchen ein Zeichen von Weisheit und geistiger Vervollkommnung.
Der Ohrring dient außer als Schmuck bis in die heutige Zeit der Abwehr von Krankheiten und sonstigem Unheil (in der Schweiz soll ein goldener Ring im Ohr Augenkrankheiten verhindern). Ein Ohrring im linken Ohrläppchen ist das Zeichen der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Homosexuellen.
Die Offenheit des Ohres und seine leichte Beeinflussbarkeit sind in sprachlichen Formulierungen ausgedrückt, wie einen „Floh im Ohr“ haben, „ohrenbetäubender Lärm“ und einen „Ohrwurm“ haben, wenn sich eine Melodie in unserem Kopf dauernd wiederholt.
Es ist das Geheimnis aller religiösen Erfahrung, aber auch aller Psychotherapie, Voreingenommenheiten und Vorbehalte abzulegen, um sich zu öffnen, um zu hören, um zuzuhören. Der Therapeut hört dem Patienten zu, und der Patient hört sich selbst zu, den Phänomenen seines Unbewussten, seinen Bildern, dem, was in Träumen und Imaginationen aus ihm spricht (aus ihm gehört werden will). Der Therapeut „leiht“ dem Patienten sein Ohr und ermöglicht ihm dadurch, sich selbst zu hören und sich selbst, d. h. seinem Selbst zu begegnen. So konnte ein Patient sagen, „seit Sie mir zuhören, verstehe ich mich viel besser“.
Literatur: Standard
Autor: Daniel, Rosmarie