Neun
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Definition: neun: Das gemeingerm. Zahlwort mhd., ahd. niun, got. niun, engl. nine, schwed. nio beruht mit Entsprechungen in den meisten anderen idg. Sprachen auf idg. neuoen - neun, vgl. z. B. aind. náva, lat. novem und griech. ennéa. Das idg. Zahlwort gehört vielleicht zu dem unter neu behandelten idg. Adjektiv. Die Neun wäre dann als òneue Zahlñ (in der dritten Viererreihe) benannt worden, vgl. den Artikel acht.
Information: Die Neun besitzt die Teiler 1,3 und 9. Aus arithmetischer Sicht ist sie damit echt teilbar und stellt die fünfte ungerade natürliche Zahl dar.
Vor- und Frühgeschichte: Vergleichende kulturgeschichtliche Forschungen legen nahe, dass die Neun immer in Kulturen mit vorherrschenden Mondgottheiten besondere symbolische Bedeutung bekam.
Altes Ägypten und alter Orient: In der Theorie der alten Ägypter wurde ein Kreis zusammengehöriger Götter als Neunheit bezeichnet. Deren erste schufen wahrscheinlich die Priester von Heliopolis. Zu ihr gehörten Atum als Herr der Neunheit und seine Kinder Schu und Tefnut, deren Nachkommen Geb und Nut sowie Osiris, Isis, Seth und Nephthys als Kinder der Nut. Der Begriff der Neunheit wurde später auch auf Götterkreise in anderen Städten angewandt, ohne das die Neunzahl zwingend war. - In der chinesischen Sage von den neun Dreifüssern wird berichtet, dass der mythische Kaiser Yu neun Bronzegefässe vom Typ Ding herstellen liess. Auf ihren Aussenseiten waren die Landkarten der ihm unterstehenden neun Provinzen eingraviert. Diese Dreifüsse sollen der Sage nach später verlorengegangen sein. Sie gelten aber bis heute in der chinesischen Literatur als Symbol der Oberhoheit und Souveränität des Herrschers.
Antike: Da sich die Neun als Viereckszahl figurieren lässt, galt sie im Pythagoreismus als weiblich. Zudem ist sie die Summe der ersten drei ungeraden natürlichen Zahlen (9=1+3+5), die alle als männlich angesehen wurden. Ferner ergab sich die Neun durch die Quarte, denn nur zwei gleiche und gleichgespannte schwingende Saiten im Längenverhältnis 12:9=4:3 brachten diesen Klang hervor. Die zugehörige Proportion verband zudem die Drei und die Vier als die jeweils ersten Vertreter der theoretisch wichtigen Drei- und Viereckszahlen. (Andere figurierte Zahlen waren noch nicht bekannt.) Wegen solcher Eigenschaften wurde die Neun von den Pythagoreern mit der Gerechtigkeit in Verbindung gebracht. - Im ursprünglichen Platonismus bezog man die Neun auf Proportionen, die auf Zahlenbeziehungen der fünf regelmässigen oder kosmischen Körper beruhten (z.B.: 2:3:4=4:6:8=6:9:12= ... 3:4:6:10=9:12:18:30= ..., siehe Sechs und siehe Zwölf). Der spekulative Neoplatonismus hingegen griff verstärkt auf die pythagoreische Zahlensymbolik zurück, liess aber deren mathematischen Gehalt und Hintergrund weitgehend ausser acht.
Monotheistische Religionen: Im Alten Testament hat die Neun keine symbolische Bedeutung. Das alphabetische hebräische Ziffernblatt drückte sie durch den neunten Buchstaben Tet aus. Mit diesem Zuordnungsprinzip bestimmten rabbinische Gelehrte lange vor der Zeit der Kabbalisten und ihrer Gematria systematisch den Zahlenwert von Worten und brachten dann solche mit gleicher Quersumme inhaltlich in Verbindung. - Schon Paulus dachte über eien christliche Engellehre nach. Sie wurde aber erst von Dionysius Areopagita geschaffen, der der Legende nach vom Apostel zum Glauben bekehrt worden war. In seiner im 4. Jahrhundert kanonisierten Angelologie bilden die Engelscharen neun Chöre, die in jeweils drei Hierarchien zerfallen. Die oberste berührt unmittelbar Gottes Thron, während die unterste die Verbindung zum Priester herstellt, der die Messe zelebriert. Gemäss der neoplatonischen Auffassung: "Alle Wesen haben Gestalten, weil sie Zahlen haben; nimm ihnen diese und sie werden nichts sein." des Kirchenvaters Augustinus wurde im christlichen Verständnis die Neun zur Zahl der Engel. - Im Islam wurde die Neun dem neunten arabischen Buchstabe Ta zugeordnet, der Gott als Tahir, d.h. als Heiligen kennzeichnet. Seine mystischen Richtungen praktizieren seit ihrer Entstehung ein von der rabbinischen Zahlenspekulation angeregtes Verfahren, das als Hisab al Dschumal -Errechnen der Summe- bezeichnet wird.
Hermetische Überlieferung: Seit dem Hochmittelalter wird ein Zusammenhang des neunten Himmelshauses mit dem Reisen, dem Gesichtskreis und dem Denken angenommen.
Mathematik, Naturwissenschaft und Technik: Johannes Kepler deutete das von ihm physikalisch weiterentwickelte heliozentrische System zahlensymbolisch aus. Die Strukturen, die ihm als unbeweglich galten, setzte er zur Heiligen Dreifaltigkeit in Beziehung. Danach entsprachen die Sonne dem schaffenden und lebensspendenden Vater, die Fixsterne dem Sohn und der zwischen ihnen liegende Raum dem Heiligen Geist. In dieser Dreierordnung der kosmischen Ruhe bewegten sich streng gesetzmäßig die sechs Planeten, deren Zahl genau dem Sechstagewerk entsprach. Somit wurde die Neun bei Kepler zum Ganzheitssymbol, das die Trinität und die in ihr vollständig enthaltene Schöpfung bezeichnete. Durch derartige Vorstellungen bekam das neue Weltbild eine theologische Weihe, die der des alten in nichts nachstand. Hierin ist wahrscheinlich der Grund zu suchen, dass sich katholische Herrscher, die nicht von Rom abhängig waren, offen zum päpstlich geächteten heliozentrischen System bekannten (z.B. Ludwig XIV.). Auch wurden die astronomischen Zahlenspekulationen Keplers bereitwillig von den Hermetikern seiner Zeit übernommen und in ihre Systeme der Welterklärung integriert. Durch die Entdeckung von Uranus, Neptun und Pluto entstanden später zwar gewisse Schwierigkeiten, die aber durch Umdeutung beseitigt werden konnten, indem z. B. die kosmische Ganzheitsneun heute auf die bekannten neun Planeten unseres Sonnensystems bezogen wird.
Gegenwartssprache und Redewendungen: In der deutschen Gegenwartssprache tritt die Neun in folgenden Redewendungen auf: Alle Neune! (Dieser anerkennende Ausruf vom Kegeln wird auch auf Situationen übertragen, wo auf Grund von Ungeschicklichkeit Dinge geräuschvoll zusammen- oder herunterfallen.); Ach, du grüne Neune! (Ausruf der Verwunderung oder des Erschreckens); jemanden mit der neunschwänzigen Katze (also mit einer Peitsche aus neun Riemen mit je einem endständigen Knoten) drohen; Beethovens Neunte zelebrieren (also Beethovens 9. Sinfonie feierlich oder mustergültig aufführen). Auch erscheint die Neun in den Adjektiven neunmalgescheit, neunmalklug und neunmalweise, die alle drei die gleiche Eigenschaft bezeichnen – nämlich die, alles besser wissen zu wollen. Kinder, die zugleich besserwisserisch und vorlaut sind, nennt man im noch wohlwollenden Sinne neunmalkluge Naseweise.
Beispiel: Ein Träumer kam in einem Fahrstuhl, der sich von oben nach unten bewegte, vom siebenten über das achte zum neunten Stockwerk. Zwischen den beiden letzten Etagen befand sich noch ein besonderer Raum, über dessen Beschaffenheit und Inhalt er nichts zu sagen wusste. Der Durchlaufsinn mit der verkehrten Reihenfolge der Stockwerke bezeichnete im Traum zugleich das Durcharbeiten der Komplexe in der Therapie und seine homoerotischen Regungen, während der besondere Raum bisher sorgfältig Verschwiegenes symbolisierte, das der erhofften Genesung und dem erwünschten Neubeginn – ausgedrückt durch das Ankommen in der neunten Etage – entgegen stand.
Literatur: Standard
Autor: Fritzsche, Bernd; Heinke, Ellen