Mund

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Keyword: Mund

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Definition: Der Mund (idg. menth "kauen, beißen") gehört zu den sieben Öffnungen des Kopfes, deren Funktion nicht nur die der Nahrungsaufnahme ist, sondern auch für Tätigkeiten und Funktionen steht wie reden, schweigen, essen, beten, gähnen, atmen, singen, lachen, küssen.

Information: Als Teil des Kopfes bildet er eine Körperöffnung, die an zentraler Stelle in den Verdauungstrakt führt, die aber auch als Zugang zur ideellen Welt des Menschen und Tieres, da aus ihm die Sprache und das Schweigen, Liebesaustausch, wesentlich zum Aufbau zwischenmenschlicher und interindividueller Beziehungen und zwischen Mensch und Tier.

Seine Funktionen schlagen sich in vielen Sprichwörtern nieder, die zeigen, dass die Bildersprache in zahlreichen Varianten den Mund verwendet, um einen Charakter oder ein Stimmung der Situation auszudrücken: "nicht auf den Mund gefallen sein" oder "Ein gutes Mundwerk haben".

Je nach Zeitgeschmack und Äußerung des Mundes wurde er mit strikten Reglements durch Schimpf oder Regeln belegt. Prediger mahnten zur vorbedachten, wahren und moralisch gerichteten Rede. Freie Rede führe zu schwankhaften Äußerungen wie bei Eulenspiegel.

Die seit dem 17. Jh. verbreiteten Lehren der Sprach-Regelung internalisierte das lesende und hörende "Volk" bes. im mittleren und oberen Bürgertum bis zur Mitte des 19. Jhs. Nicht in den allgemeinen Wirtshäusern, doch in den Zunftstuben städtischer Patrizier seit dem 16. Jh. fand man schon gesittete Rede und ernsthafte Verhandlungen.

Die Sprache aus dem Mund oder dem Maul des Volkes war für die Intellektuellen nicht nur ein Grund zu lehrhafter Kritik, sondern auch eine literarische und sprachliche Anregung deren Ausmaß in der Erzählforschung umstritten ist.

In der ägyptischen Mythologie fungiert der Mund auch als Vulva: Atum schluckt den eigenen Samen; die Göttin Nut empfängt durch den Mund die untergehende Sonne sowie die Gestirne für die Verjüngung und Wiedergeburt.

Schöpferische Kraft des Mundes: Nach ägypt. Überlieferung gehen die Götter aus dem Mund, die Menschen aus den Augen des Atum hervor. Schu sei durch "Aushusten", Tefnut aber durch "Ausspeien" geboren; Ptah nimmt eine Schöpfung durch das Wort vor.

Seit dem Mittleren Reich wendet sich der Tote häufiger mit einer Bitte um Spende oder Gebet an die Vorübergehenden: "Ein Hauch des Mundes ist es (nur, doch) nützlich für den Verstorbenen [...] " Im ägypt. Totenkult gab es das Ritual der Mundöffnung.

Das Krokodil stellte in einigen Ikonographien des Mittelalters den Höllenmund dar.

Der Höllenmund wirkt in der Ikonographie des Mittelalters die Dramatik der Höllenfahrt verstärkend.

Durch den Mund hat man Zugang zur Seele des Lebewesens. Der Thronnachfolger beim Stamme der Nia muss den letzten Atem des Sterbenden durch seinen Mund fangen. In Tiergestalt kann die Seele aus dem Mund entweichen und zurückkehren, so als eine Spinne oder Schlange.

Der Zugang zur Seele des Menschen über den Mund drückt sich in zahlreichen populären Erzählstoffen aus.

Da der Mensch in seiner Körperlichen und seelischen Beschaffenheit durch den Mund stark verletzlich ist, soll man nicht mit offenem Mund schlafen. Bekannt ist dazu das Beispiel aus der Sage um den König Guntram: Seine Seele entwich während des Schlafes als kleine Schlange aus dem Körper, ging in den nächsten Berg und kam zurück. Die Bretonen glaubten, dass dem sich Erhängenden die Seele wegen des zugeschürten Halses nicht durch den Mund, sondern durch den After entweicht, der Teufel vor dem Mund daher leer ausgeht.

Goethes Faust: Faust will nicht mehr mit dem Hexenmädchen auf dem Blocksberg tanzen, da ihr ein rotes Mäuschen aus dem Mund sprang.

Einer schwäbischen Hexe kriecht die Seele in Gestalt einer Spinne aus dem Mund. In den Harzsagen ist überliefert, dass ein Bergmeister am Nachmittag schlief, dann eine Maus aus seinem Mund entwich und kurz vor dem Erwachen zurückkehrte. So war er immer wohl über alles im Berg informiert.

Bei Rabelais ist die Welt im Mund des Riesen vor seiner Wiederbelebung zu erleben.

Was aus dem Mund gesprochen wird, ehrt den Sprecher. Sichtbar ist dies am Mund Verstorbener, die nicht verwesten. H. Rauscher (1515-1564) berichtete in seinen Exempeln von einem unzüchtigen Pfarrer, der auf Marias Geheiß zur letzten Ruhe in die Klostermauern begraben wurde, dass aus seinem Mund Blumen und seine unverletzte Zunge waren. Ein Baum wuchs aus dem Mund eines anderen Verehrers Marias.

Durch den Mund wird die Hostie als Sakrament aufgenommen. In einem Exempel des MA. s habe sie sich im Mund eines Juden in ein Kind verwandelt.

Eine Taube hält ihren Schnabel in St. Gregors Mund, daran knüpft Rauscher erotische Nebenbemerkungen.

Mund Luther erzählt in seinen Tischreden von einem Mönch in einem Wallfahrtsort, der den Teufel vertreibt, indem er 2 Finger in den Mund legt.

Die Lästerzunge eines Gegners des Evangeliums hängt ihm schwarz und verbrannt aus dem Mund.

"Morgen-Stund bringet Brod im Mund" Diese Redensart gilt als Grundlage für eine Beispielgeschichte über den Erfolg eines Wirtes.

Zur Belohnung bzw. Strafe der guten oder schlechten Mädchen (Aarne-Thompson-Index 480) und zum Kennzeichen der schwarzen und der weißen Braut (Aarne-Thompson-Index 403) fallen ihnen Goldstücke bzw. aber Frösche oder Kröten bei Sprechen aus dem Mund (treasure falls from m. Mot. *D 1454. 2). Auch die Monate bestrafen mit Schlangen aus dem Mund die Habgierige. Diese bewirken die weitere Handlung: die gute Aufnahme des Mädchens mit den Goldstücken oder die Ausstoßung aufgrund der Kröten und Schlangen, die sich letztlich gegen die Sprechende selbst richten.

Ein geschlossener Mund bietet keinen Zugang zum Menschen.

Der Mund wird angemalt, um ihn hervorzukehren und als vorteilhaften Zug zu betonen. Dadurch Eingang in die Industrie und Werbung:

Den Mund pflegte man daher sowohl bei den Ägyptern als auch im Europa des 20. Jh. s.

Der rote Mund steht als pars pro toto für ein schönes Mädchen, so im Karlsruher Manuskript von 1453, in dem Venus an seinen Ankunftstag und seinen Empfang durch viele rote Münder spricht. Auch der Dichter H von Sachsenheim (1363/65-1458) zieht den roten Mund, rot wie ein Rubin, als Vergleichsbild heran. Weitere Beispiele aus mittelalterlicher Literatur zeigen, dass es sich hier um ein stehendes Bild als Zeichen für schöne Frauen handelt. So etwa auch in Wolfram von Eschenbachs Parzival (1200-1210): Jeschûtes bezaubernde Schönheit strahlt auf den Ritter durch "einen munt durchliuhtic rôt, [...] " (I, 3, 135). Tannhäuser aber ist den Verführungen des roten Mundes der Venus nicht mehr ausgeliefert und bittet um Urlaub von ihr selbst.

Im Hohelied Salomos 1, 2: "Er küsse mich mit dem Kusse seines Mundes; [...] "

ibid 5, 16: "Sein Mund ist süß, und alles an ihm ist lieblich." Hier ist die Schönheit des Mannes und der Frau angesprochen.

ibid 6, 10 " [...] laß deinen Mund sein wie guten Wein, der meinem Gaumen glatt eingeht und Lippen und Zähne mir netzt."

Die Mundorgel als Musikinstrument und als Buch bekannter Lieder.

Im Schwank ist der Arsch das Gegenstück zum Mund. Wie dieser bringt auch ein beschmierter Mund eine Anklage als Dieb (Mot. K 401. 1). So wird nachts irrtümlich statt am Mund am Arsch verköstigt (cf. AaTh 1775).

Die drastische Schwankliteratur überlieferte auch: der weise Mann sei bei einer Beleidigung lieber Herr seiner Ohren, als dass er gegen den Herrn des Mundes antrete.

Die Linien vom Mund des Betern zu den Wundmalen Christi belegen im ausgehenden Mittelalter auf Holzschnitten und Fresken das richtige Gebet.

Ein bekanntes Sagenmotiv ist der "Mund der Wahrheit" (ital. Bocca della verità; Mot. H 251. 1), genannt nach dem 1632 in Rom aufgestellten Mamorstandbild.

Interpretation: Von der Ausübung der Funktionen des Mundes schloss man auf den Charakter des ihn tragenden Menschen: So schrieb schon in frühen wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Darstellungen. Konrad von Mengenberg: "Wer ainen grôzen munt hât, der ist ain vrâz (Fresser) und ist küen (tapfer)."

Am Erscheinungsbild des Mundes wollte man Krankheiten ablesen.

Der Mund nimmt im Sinne des Oralen eine zentrale Rolle im analytischen Theoriegebäude ein. Entwicklungspsychologisch ist es konzeptuell meist die erste Phase der psychosexuellen Entwicklung (oral, anal, infantil-genital, genital). So wie das Kleinkind in einer bestimmten Entwicklungsphase überwiegend die Außenwelt über den Kontakt zum Mund oder im Mund über die Mundschleimhaut aufnimmt, gibt es auch später im erwachsenen Leben mundbetonte Wahrnehmungen. Ob es der Kuss ist, die gesprochene Sprache oder das Schmecken beim Essen und Trinken. Alles geht mit und über den Mund. Auch das Einatmen und Ausatmen hat viel mit dem Mund zu tun. Schließlich treten wir Menschen wesentlich auch über den Mund, neben der Hand, dem Gesicht, den Geschlechtsorganen usw. miteinander in Beziehung.

Der Mund, die Lippen und seine Mundschleimhaut bilden eine Mundhöhle. Der Mund wird einerseits als passiv aufnehmendes Organ verstanden, hat ebenso auch die aktiv aufnehmende wie auch aktiv abgebende Seite. Im Sabbern ist schließlich die passiv abgebende Eigenschaft enthalten.

Der Mund gilt als erogene Zone und auch als Symbol für die Vagina, was sich beispielsweise auch in der Werbung zeigt, in der eine Banane oder ein Eis mit entsprechend bedeutungsvollem Gesichtsausdruck genussvoll verspeist wird.

C. G. Jung betont die Mundsymbolik als Ort der Erzeugung des Feuers aus dem Mund (Jung GW 5 §227, 229). Es gibt auch die kindliche Vorstellung vom Mund als Austrittsort bei der Geburt (Jung GW 17 § 22f., 32, 45)

In der analytischen Psychotherapie kann man immer wieder erleben, wie Patienten für sie Bedeutsames über den Mund aufnehmen wollen. Im sich entwickelnden Fantasieraum können so von ausreichend visuell begabten Patienten Eigenschaften, die beim Therapeuten wahrgenommen werden, über den Mund aufgenommen, ja verschluckt und so für die eigene seelische Verdauung verwendet werden.

Eine einige Wochen und Monate depressiv klagende Patientin konnte es lange nicht für möglich halten, dass ihr Therapeut für sie da war. Sie war sehr misstrauisch. Andererseits mochte sie den Therapeuten und wollte ihn für sich haben. Sie wagte es in einer Stunde, in der Fantasie ihren Therapeuten zu verschlucken. Sie war nun angefüllt und wohlig genährt. Sie ließ ihn dann auch wieder heraus, fühlte sich aber deutlich gestärkt.

Ein anderer Patient, dem innerlich kalt war, spürte die warme Zugewandtheit seines Analytikers. Er fantasierte sich hierzu die ihm vertraute Sonne und nahm sie über den Mund als inneres sinnliches Bild auf. Er spürte die Wärme jetzt in sich, was vorher nicht möglich war.

Besonders bei Therapeutinnen bzw. Psychoanalytikerinnen kommt es vor, dass Patienten das Genährtwerden, das Stillen sich wünschen. Innere Bilder und Fantasien des Trinkens, des Saugens an der Mutterbrust tauchen auf.

Literatur: Standard

Autor: Poege-Alder, Kathrin; Alder, Stefan