Humor

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Keyword: Humor

Links: Eros-Prinzip, Freude, Hermes-Mercurius, Narr, Trickster

Definition: Unter Humor lässt sich eine Eigenschaft, Fähigkeit oder Einstellung verstehen, der Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den Fehlern, Irrtümern, Schwierigkeiten, Konflikten und Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen.

Information: Der Begriff Humor (lat. humores: Feuchtigkeiten, Körpersäfte) entstammt der griechischen Lehre von den Temperamenten, die bis in die mittelalterliche Medizin hinein von großer Bedeutung gewesen ist: Die seelische Gestimmtheit ist nach antiker und mittelalterlicher Vorstellung abhängig von der richtigen Mischung der Körpersäfte. Sind diese gut gemischt, geht es dem Menschen gut. Humor ist ein wesentliches Kennzeichen des Menschseins. Das Bedürfnis nach Humor findet u. a. seinen Ausdruck in Literatur, Kunst und Musik. Ab dem 19. Jh. beschäftigt sich die Philosophie mit dem Begriff, dann auch die Psychoanalyse.

Humor ist nicht gleichzusetzen mit Witz, Komik, Clownerie etc. oder der Lust daran, aber auch nicht scharf davon abzugrenzen. Lachen wiederum ist nicht zwangsläufig ein Anzeichen für Humor, denn es kann auch z. B. ein schadenfrohes, verletzendes, aggressives, sadistisches Auslachen sein, das mit Humor nicht zu verwechseln ist, oder eine freundlich-abwehrende Maske, eine Mimik der Verlegenheit, Hilflosigkeit, Verzweiflung uvm. Es gibt viele Formen der Heiterkeit, des Lustig- und Witzigseins, die eine Flucht und eine Abwehr tieferliegender Emotionen und Komplexe sind. Entsprechend wird auch in der tiefenpsychologischen Literatur unterschieden zwischen dem positiven, konstruktiven und reifen Humor und dem neurotischen, unreifen, der sich schadenfroh und aggressiv gegen jemanden richtet, jemanden zum Opfer macht, beschämt.

Interpretation: Humor hat nicht die Schärfe der Ironie oder Satire, er ist nicht aggressiv zersetzend, wohl aber überraschend und damit in der Lage, Affekte und Emotionen, verfestigte Haltungen, Einstellungen, starre Denkmuster, Konzepte und Vorurteile aufzulockern. Humor befähigt, Unsinniges und Absurdes zu erkennen und darüber nicht zu verzweifeln, sondern lösend zu lachen. Er stellt Distanz her zum Ich und zum Anderen und lässt im Großen und Heiligen das Kleine, Alltägliche und Profane sehen oder in der Narretei noch das Vernünftige und Sinnvolle. Humor relativiert andere, was aber Toleranz erfordert, und Humor relativiert vor allem uns selbst, was einer gewissen Reife und Einsichtsfähigkeit bedarf. Humor setzt Freiheit des Geistes ebenso voraus wie Liebe zum Leben und zum Menschen mit seinen Schwächen, Fehlern, Begrenztheiten und existenziellen Bedingtheiten.

Humor hat ein spielerisches Element, öffnet, verbindet und fördert das Zusammenleben im Alltag. Humor befähigt den Menschen, auch angesichts seines Nichtswissens über seine Existenz und seines Ausgeliefertseins an das Sinnlose und Zufällige, an Gewalt, Bedrohung, Krankheit, Tod weiter zu existieren und vielleicht sogar, sich seinen Sinn abzutrotzen.

Humor kann dann eine Lebenshaltung mit transzendierender Kraft sein: Auch die Religionen, die Medizin und die Psychotherapie kennen die Wirkkraft des Humors, obwohl sie insgesamt sehr unter dem Aspekt des Leidens, des Ernstes, der Anstrengung, der Verantwortung, des Opfers stehen. So gibt es beispielsweise den lachenden Buddha, die weisen Narren, die Trickster und rituellen Clowns in schamanistischen Traditionen oder den Mullah Nasrudin, der mit seinen scheinbar oberflächlich witzigen Geschichten den festgefahrenen Verstand und das Denken überlistet. In der Psychoanalyse und Psychotherapie wird der Humor unterschiedlich gesehen. 1905 veröffentlicht S. Freud "Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten", und er beschäftigt sich auch in den 20er-Jahren noch einmal mit dem Humor. Zwar bezeichnet er den Humor als Abwehrmechanismus, aber doch als Ausdruck einer reifen Abwehr.

Heinz Kohut betrachtet im Rahmen seiner Selbstpsychologie den reifen Humor als Fähigkeit einer Persönlichkeit, die den Narzissmus überwunden und sich mit den realen Gegebenheiten des menschlichen Lebens und dessen Endlichkeit arrangiert hat. Viktor Frankl erkennt, dass Humor besser als alles andere dem Patienten helfen könne, sich von sich selbst zu distanzieren und dadurch zu mehr Selbsterkenntnis zu gelangen. In den 60er-Jahren des 20. Jh. entwickelt Frank Farrelly die Provokative Therapie, die den Humor in den Mittelpunkt der therapeutischen Interventionen rückt. In den 90er Jahren entsteht die Gelotologie, die Lachforschung, die sich u. a. auch mit dem Humor in der Therapie und der heilenden Kraft des Lachens beschäftigt.

In den letztgenannten Entwicklungen wird im Grunde der Archetyp des Hermes-Mercurius, dem "freundlichsten der Götter", des Narren und des Tricksters aktiviert. In der Analytischen Psychologie spielen sie eine wichtige Rolle in ihrer Funktion, das Bewusstsein in neue, erweiternde seelische Bereiche hinein zu führen. Durch ihre paradoxe, verrückte, witzige, humorvolle, die Dinge auf den Kopf stellende Art wird es nämlich möglich, die Angst und Widerstände zu bannen, die gegen alles Neue stehen.

Um einen gewinnbringenden humorvollen Umgang zwischen Therapeut und Patient zu ermöglichen, ist die zentrale Voraussetzung, dass Therapeut und Patient in einer emotional guten und vertrauten Beziehung zueinander stehen. Humorvolles Umgehen miteinander lockert, aber es darf nicht zu locker und unverbindlich sein. Lachen und Ausgelachtwerden liegen für viele Menschen z. B. mit Selbstwertstörungen nahe beieinander oder sind gar nicht recht zu trennen. Und Humor enthält eben durch eine lösende auch eine von manchem empfundene kritisierende, aggressive Tendenz. Der Patient muss sich, damit Humor in der Psychotherapie wirken kann, akzeptiert und wertgeschätzt fühlen, und er muss spüren, dass der Therapeut bereit und fähig ist, auch sich und seine Position mit Humor zu betrachten und über sich selbst zu lachen.

Literatur: Berhardt, J. A. (1985): Humor in der Psychotherapie; Friedmann, E. (1997): Der Einbruch des Unerwarteten; Frings, W. (1996): Humor in der Psychoanalyse; Titze, M. & Eschenröder, C. T. (1998): Therapeutischer Humor


Autor: Müller, Anette