Gärung
Keyword: Gärung
Links: Alkohol, Alchemie, Bier, Rausch, Rebe, Wandlung, Wein
Definition: Gärung ist die Veränderung von organischen Stoffen mit oder ohne Zuführung von Luft, der zu deutlich sichtbaren Veränderungen und Abbauprozessen führt, aber nicht zur Fäulnis.
Information: Gärungsprozesse in der Natur waren schon den frühen Menschen vertraut. Bei der alkoholischen Gärung werden komplexere Kohlenhydrate zu einfacheren Zuckermolekülen umgebaut, die durch weitere Gärung zu Alkohol werden. Es handelt sich bei der alkoholischen Gärung um eine natürliche chemische Reaktion, mit der die Menschen schon lange vertraut gewesen sind. Weitere Gärungsformen sind u.a.: Butter- Essig- und Milchsäuregärung.
Milchsäuregärung diente schon seit der Jungsteinzeit zur Haltbarmachung und Säuerung von Lebensmitteln wie Buttermilch, Joghurt oder Gemüse (Sauerkraut, Gewürzgurken), auch Sauerteig entsteht durch Milchsäuregärung. Sauerkraut war den alten Chinesen, Römern und Griechen bereits vertraut, und es ist bis heute in der europäischen Ernährung im Winter viel verwendet, nicht nur in Deutschland, sondern auch im gesamten mittel- und osteuropäischen Raum. Es wird u.a. wegen seines hohen Vitamin-C-Gehaltes hoch geschätzt. Im 2. Weltkrieg wurden im angloamerikanischen Sprachraum die Deutschen auch abwertende "die Krauts" genannt. Ähnlich geschätzt wie das Sauerkraut waren bereits seit der Antike beispielsweise die Haltbarmachung von nicht ausgereiften Gurken durch Milchsäuregärung zu Salz-, Essig- oder Gewürzgurken.
Buttersäuregärung findet u.a. im Darm statt; der Geruch von Buttersäure ist u.a. wahrnehmbar bei ranziger Butter und bei Erbrochenem. L. Pasteur u.a. untersuchten die Rolle der Mikroorganismen bei der Milchsäure- und der Buttersäuregärung.
Essigsäuregärung ist seit der Antike bekannt und wird beispielsweise in der Essigherstellung genutzt.
Interpretation: Alkoholische Gärung, den entstehenden Ethylalkohol und seine Wirkungen haben Menschen vermutlich durch den Genuss überreifer, gegorener Früchte eher zufällig kennen gelernt. Sie haben die Gärung und den Alkohol - in der Sprache der Alchemisten - dort gefunden, wo die prima materia oder der Stein der Weisen immer gefunden wird: im Alltag, im Staub der Straße, verfault, übel riechend und unansehnlich.
Die Herstellung von Alkohol ist ein langwieriges Wandlungs-Geschehen, das in seinen einzelnen Schritten viele Parallelen zum alchemistischen Opus und zu anderen magischen Praktiken hat. Göttliche, schenkende Natur (Klima, Landschaft, Vegetation, Wasserqualität etc.) und menschliche Kultur (Geduld und uraltes Wissen über Pflanzen, deren Anbau und Kultivierung, Braukunst, Küfnerhandwerk, Erfindung und Entwicklung des Destillationsverfahren etc.), die esoterische und exoterische Suche des Menschen nach körperlichem und psychischem Wohlbefinden und nach Heilung, nach neuen emotionalen und mystischen Erfahrungen und nach erweiterten Bewusstseinszuständen verbinden sich in diesem Prozess.
In einem den Menschen sicher lange Zeit dunkel und geheimnisvoll erscheinenden Prozess müssen die der Luft und dem Wind ausgesetzten sonnengereifte Früchte und die dem Wandlungsmysterium der mütterlichen Erde unterworfenen Getreide und Kartoffeln im Gärungsprozess zusammen mit Hefepilzen zersetzt werden. Ein solcher Vorgang könnte in der Alchemie als Nigredo bezeichnet werden und in der Magie als das Brauen eines Liebes-, Todes- oder Zaubertrankes.
Aus der Gärung entstehen allerdings nur niedrigprozentige Getränke (bis etwa 15 Vol-%). Hochprozentige Genussmittel bedürfen der anschließenden Destillation. Die Destillation ist schon den Griechen bekannt, destilliert worden sind z. B. schon früh Essenzen für Parfums. Im Mittelalter wird die Destillation von den Arabern weiterentwickelt und kommt von dort in den europäischen Kulturkreis. Im Opus der Alchemisten spielt die Destillation als Trennungs- und Reinigungsprozess mit dem Ergebnis einer Neuzusammensetzung eine zentrale Rolle: Flüssigkeiten werden so lange erhitzt, bis die flüchtigen Bestandteile zu Gas werden. Wird der dabei entstehende Dampf abgekühlt, so erhält man diese flüchtigen Bestandteile in fester Form. Für die Alchemisten ist die Destillation ein Versuch, des Spiritus oder des Mercurius, der flüchtigen Substanz oder der Essenz habhaft zu werden.
Das Herstellen von Bier und Wein durch Brauen bzw. Gären, das Destillieren zu Branntwein bzw. Schnaps und das Mischen von Likören und Cocktails oder die Gewinnung von Essig aus Wein sind bis heute trotz des Einzuges der Technik und neuer Materialien eine Art alchemistischer Prozess geblieben. Auch heute noch kommt es auf den richtigen Zeitpunkt an, etwa bei der Ernte der Früchte, bei der Dauer des Gärprozesses und beim Lagern. Bis heute beeinflussen Anbaugebiete, die traditionellen Brau-, Destillier- und Lagerungsarten, das Material der Fässer, die Beschaffenheit der Korken etc. den Geschmack der Alkoholika, und es gibt strenge Reinheitsgebote.
Wie das Kochen und Backen, so ist das Gären bzw. das Brauen von Getreide und Gemüse sowie Milch ursprünglich weitgehend Sache der Frauen gewesen. Auch das ist eine Parallele zum Opus der Alchemie, das von Mann und Frau betreut und durchgeführt wird. Bis ins 19. Jahrhundert brauen ländliche Familien oft ihr eigenes Bier, und nicht nur historische Quellen, sondern auch Märchen wie "Die kluge Else" berichten, dass man in den Keller geht, um einen Krug Bier zu zapfen. Und von der Witwe Bolte in Wilhelm Buschs Max und Moritz wissen wir, dass im Keller ein Topf mit "Sauerkohl" zu finden ist.
Aufgrund der gesetzlichen Regelungen ist das häusliche Brauen und die Destillation ab dem späten Mittelalter zunehmend verboten und in die Hand von Brauhäusern und Braumeistern gegeben worden. Seit es in den Hochkulturen Zeugnisse von Alkohol gibt, gibt es auch Zeugnisse davon, wie versucht wurde, den ungezügelten Alkoholgenuss einzuschränken, durch Brauverbote, Verbote des Schnapsbrennens, Besteuerung, Einschränkung des Anbaus von Weinreben oder Hopfen etc. Die Puritaner in England und Amerika haben sich seit Beginn der Neuzeit dabei besonders hervorgetan. Die gesetzlichen Regelungen sind allerdings auch immer unterlaufen worden. Die Prohibition in den USA in der 1. Phase des 20. Jahrhunderts legt davon Zeugnis ab.
Wenn im psychologischen Sinne etwas gärt oder zur Gärung kommt, meint man damit einen seelischen Prozess, in dem noch unbewusste konflikthafte Affekte oder Erfahrungen allmählich verarbeitet werden, so dass aus einer Krise eine Klärung, Lösung und Wandlung erreicht werden kann. Literatur: Standard
Autor: Müller, Anette