Geist, Gespenst

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Keyword: Geist, Gespenst

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Definition: Aus der ursprünglichen Bedeutung von Geist als "Erregung, Ergriffenheit" (vgl. z. B. Begeisterung, Geistesblitz) entwickelten sich später die Bedeutungen von "Geist, Seele, Gemüt und überirdisches Wesen, Gespenst." An dieser Stelle ist letztere Bedeutung gemeint, ein Geist als Furcht erregende Spukwesen in (meist) Menschengestalt. Im volkstümlichen Aberglauben sind es oft die Seelen der Verstorbenen, die um Mitternacht in dunklen Gemäuern in weiß-durchsichtiger, ätherischer Gestalt herumirren, weil sie ihren Frieden nicht finden können, z. B. weil sie noch zu stark "erdgebunden" sind, wichtige Aufgaben nicht erledigt haben oder im vergangenen Leben eine bisher unerlöste Schuld auf sich genommen haben.

Information: Die Analytische Psychologie fasst die in allen Kulturen vorkommenden Vorstellungen von Geistern, Dämonen, Engeln und Teufeln, Kobolden und Fabelwesen als Ausdruck der Erfahrung mit unbewussten komplexhaften archetypischen Kräften der Psyche auf. Bei magisch erlebenden Naturvölkern findet man häufig eine deutliche Unterscheidung zwischen Seelenteilen, die der Mensch besitzt, die eventuell den Menschen auch verlassen und ihm verloren gehen können und Geistern. Letztere wohnen unabhängig von den Menschen in einem Zwischenreich oder Jenseits. Die Seelenteile werden als weitgehend zur eigenen Persönlichkeit gehörend empfunden und Jung vermutet, dass es sich dabei um Komplexe des persönlichen Unbewussten handelt, während die »Geist« Ausdruck autonomer archetypischer Komplexbildungen des kollektiven Unbewussten sind (vgl. Jung, GW 8, § 589 f.). Beide Komplexarten können seelische Störungen hervorrufen, bei den ersteren in Form von „Seelenverlust“, bei den letzteren in Form von „Besessenheit“.

Wenn ein Komplex des kollektiven Unbewussten (Archetyp) dominiert, »so empfindet das Individuum diesen Inhalt als fremd, unheimlich und zugleich faszinierend; auf jeden Fall wird das Bewusstsein dadurch in beträchtlicher Weise beeinflusst, sei es, dass es den Komplex als krankhaft empfindet, sei es, dass es dadurch dem normalen Leben entfremdet wird. Es tritt durch Assoziation eines kollektiven Inhaltes an das Ich immer ein Zustand von ›Entfremdung‹ ein, denn es mischt sich etwas in das individuelle Bewusstsein, das eigentlich unbewusst, das heißt vom Ich getrennt, bleiben sollte. Gelingt es, einen solchen Inhalt wieder aus dem Bewusstsein zu entfernen, so fühlt sich das Individuum erleichtert und normaler. Der Einbruch dieser fremden Inhalte findet sich als charakteristisches Symptom am Anfang vieler Geisteskrankheiten. Die Kranken werden von fremden und unerhörten Gedanken befallen, die Welt sieht verändert aus, die Menschen haben fremde, verzerrte Gesichter usw. (Jung, GW 8, § 590)

Solche archetypischen Komplexe haben meist einen weitgehend autonomen Charakter, weshalb sie Jung auch als Teilpersönlichkeiten bezeichnet. Diese könnten sich unter bestimmten Umständen so aufführen, als seien es tatsächlich eigene Persönlichkeiten mit eigenem Willen, Fühlen und Denken. Es sei sehr gefährlich, wenn das Ich-Bewusstsein meinen würde, es habe oder erzeuge diese Komplexe, weil es sich dann mit den Komplexen identifiziere und seine Freiheit verlöre. Häufig genug sei es nämlich umgekehrt: die Komplexe seien es, die das Ich besitzen. Deshalb ist es eine der Aufgaben einer Psychotherapie, das Ich aus einer unbewussten »Komplex-Besessenheit« zu befreien, d. h. dem Ich-Bewusstsein zu helfen, sich von einem Komplex zu unterscheiden, indem es ihn als solchen erkennt und ihm gegenüber Stellung bezieht. Er kann dann gewissermaßen zu einem inneren Dialogpartner werden, der einen mit der instinktiven Weisheit der Psyche und des Organismus verbindet. Auf diese Weise können auch archetypische Komplexe eine heilende, schöpferische und bewusstseinserweiternde Wirkung haben.

Interpretation: Die Frage, um was es sich bei den archetypischen Komplexen wirklich handelt, ist sehr strittig und berührt eine inzwischen jahrhundertalte Kontroverse zwischen den sogenannten »Animisten« und den »Spiritisten«. Die Animisten stehen auf dem Standpunkt, dass sich Geisterscheinungen, Besessenheitsphänomene und mediumistische Kontakte weitgehend tiefenpsychologisch – eben als Komplexbildungen etc. – mit Hilfe unbewusster Vorgänge erklären lassen. Die Spiritisten gehen im Gegensatz dazu von der tatsächlichen Existenz von jenseitigen Wesenheiten und von Geistern von Verstorbenen aus.

In den meisten konkreten Einzelfällen, in denen solche spiritistischen Spuk-Phänomene untersucht werden, ist es sehr schwer, zu einem positiven Schluss im Hinblick auf die spiritistische These zu kommen. Meist liegen sehr zwielichtige, unklare Situationen vor, die alle möglichen Formen von Manipulationen, Fremd und Selbsttäuschungen erlauben und in denen die beteiligten Personen in der einen oder anderen Weise als befangen (z. B. durch ein Hoffnungs- oder Wunschdenken), unter einer besonderen psychischen Spannung oder gar als psychisch gestört und nicht zu einem objektiven Urteil fähig angesehen werden müssen. Insgesamt scheint die animistische These die überzeugendere zu sein. Jung ist sich in dieser Hinsicht aber im Laufe der Jahre immer unsicherer geworden. 1919 schreibt er noch: »Aber ich kann in all dem keinen Beweis mehr für die Existenz von wirklichen Geistern erblicken, sondern muss dieses Erscheinungsgebiet bis auf weiteres für ein Kapitel der Psychologie halten«. 1948 ergänzt er aber: »Nachdem ich seit einem halben Jh. von vielen Menschen und in vielen Ländern psychologische Erfahrungen gesammelt habe, fühle ich mich nicht mehr so sicher wie im Jahre 1919, als ich obigen Satz nieder schrieb. Ich zweifle offen gestanden daran, dass eine ausschließlich psychologische Methodik und Betrachtung den in Frage stehenden Phänomenen gerecht werden kann. Nicht nur die Feststellungen der Parapsychologie, sondern auch meine eigenen theoretischen Überlegungen … führten mich zu gewissen Postulaten, welche das Gebiet der atomphysikalischen Vorstellungen, d. h. Raum-Zeit-Kontinuums berühren. Damit wird die Frage der transpsychischen Realität, welche der Psyche unmittelbar zugrunde liegt, aufgeworfen. « (Jung, GW 8, § 600, Anm. 15)

Literatur: Müller, L. (1989): Magie

Autor: Müller, Lutz