Weiblichkeit
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Definition: Das Wort „Weib“ kommt von althochdeutsch und mittelhochdeutsch wib, die verhüllte (Braut) und bezeichnete die Frau des (einfachen) Volkes. Was als weiblich verstanden wird, ist beeinflusst von gesellschaftlichen Normen, subjektiven Werten, dem kulturhistorischen Hintergrund und unbewusst Archetypischen Prägungen.
Information: In einer patriarchalen Gesellschaft ist das weibliche in der schwächeren Position. Die Frauenbewegung konnte in den hochindustrialisierten Staaten die traditionellen Rollenvorstellungen aufbrechen und die Emanzipation der Frau vorantreiben, jedoch in den armen Ländern sind die Frauen nach wie vor sehr benachteiligt und werden in ihrer Weiblichkeit (Klitoris) verletzt (s. z. B. Die Organisation „Terre des Femmes“). Die reichhaltige Symbolik der Weiblichkeit eröffnet sich in einer kulturgeschichtlichen Rückschau. Wie die Archäologie zeigt, manifestiert sich der Archetyp des Weiblichen geografische Grenzen und weite Zeiträume überschreitend in allen Kontinenten. Im europäischen Raum geht der vielfältige Symbolkreis des Weiblichen archäologischen Funden zufolge zurück bis in die Jüngere Altsteinzeit (bis ca. 30 000 v. Chr. ). Eines der bekanntesten Fruchtbarkeitsidole der Vorzeitgöttin ist die „Venus von Willendorf“ (ca. 25 000 v. Chr., Fundort bei Melk, Österreich). Die gesichtslose Figur ist von großer Körperfülle, mit ausladenden Brüsten und betonter Vulva.
Interpretation: In alten Mythen umfasst die sich selbst befruchtende Vorzeitgöttin die Pole der Geschlechter: Auf ungeschlechtliche Weise gebar sie das Welt-Ei, legte es aufs Wasser und eine Schlange brütete es aus (Uroboros). Weiterhin hat die Symbolik der Vorzeitgöttin das Mysterium von Geburt, Tod und Erneuerung des Lebens zum Thema. Schon hier sieht man die Dreigestaltigkeit der Göttin, die schöpferisch das Leben gibt, nährend und schützend das Leben erhält und es wieder nimmt, wenn die Zeit gekommen ist. Siehe die spätere germanische Erdmutter Jörd, die in Gestalt der drei Nornen den Schicksalsfaden webt: Urd spinnt den Lebensfaden, Verdandi bemisst ihn und Skuld schneidet ihn ab – wie auch die griechischen Moiren und römischen Parzen. Das Weben der Schicksalsgottheiten ist ein erotisches Symbol: Das gekreuzte Ineinanderschlagen der Fäden versinnbildlicht die Zweiheit der Geschlechter, aus deren polarer Spannung das Menschenschicksal erwächst. Gleichzeitig wird in das Gewebe der Faden des Todes eingewoben.
Die todbringende vorzeitliche Göttin ist gleichzeitig die Göttin der Wiedergeburt. Hierfür ist ein durchgängiges, bis in neuzeitliche Märchen reichendes Symbol die Schlange (und mit ihr vielfältige Spiralmotive): Als Giftschlange symbolisiert sie den todbringenden Aspekt der Göttin, und viele Mythen erzählen von Kämpfen mit Schlangen, Drachen und Meerungeheuern, die von männlichen Helden gegen die Macht der Großen Mutter und ihrer verschlingenden Begierde ausgefochten wurden. Als Hüterin der Quellen des Lebens und aufgrund ihrer Häutungen steht die Schlange für die Kraft der Lebenserneuerung und der Sexualität. Die weibliche Gottheit bezog ihre Fruchtbarkeit und Furchtbarkeit aus den Quellen, der Sonne, dem Mond und der feuchten Erde (Yin, das Feuchte). Schwarz war die Farbe der Fruchtbarkeit, feuchter Höhlen und fetter Böden, des Schoßes der Göttin. Weiß war die Farbe des Todes, die Farbe gebleichter Knochen.
Die Polarität des Weiblichen als Lebensspendende und Todbringerin findet sich in allen weiblichen Symbolen. Nach E. Neumann verbindet sich z. B. die Gefäßsymbolik bis in die Moderne hinein mit dem Weiblichen: Ursprünglich die Höhle, später das Haus, das Innen und GeschütztSein verbunden mit der frühen Geborgenheit im Mutterleib. Der negative Aspekt ist die Höhle als Hölle oder der Schlund als fressendes Maul der Erde („vagina dentata“), der gierige verschlingende Schoß, der das Männliche anzieht und den Phallus in sich tötet. Der weiblichen Gefäßsymbolik verwandt sind die Quellen (aus der Erde, dem mütterlichen Leib, entsprungen), Brunnen, Teiche, Seen und ganz allgemein das Wasser der Tiefe: Es zeigt uns das Empfangende und Leben Spendende (Aphrodite wird im Schaum des Meeres geboren), aber auch das Verschlingende, in dem man untergehen kann.
Als etwa ab 4000 v. Chr. allmählich die Zeugung neuen Lebens durch den Mann erkannt wurde, begannen sich patrilineare und damit patriarchale Kulturen und Religionen auszubreiten. Die Religion des „Großen Weiblichen“ mit ihren Symbolen lebte als verborgene Strömung weiter oder verschmolz mit den neu entstehenden Religionen. Im Laufe der Jahrtausende differenzierten sich die Vorstellungen der Menschen von der weiblichen Muttergottheit und gaben ihr vielerlei Gestaltungen. Die sumerische Göttin Innana, die babylonische Ischtar und die ägyptische Isis waren Inkarnationen der vorzeitlichen Weiblichen Göttin. Auch im patriarchalen Olymp der Griechen lebte die weibliche Gottheit und ihre Dreigestaltigkeit weiter, z. B. in der Figur der Artemis (römisch: Diana), die in ihrem Ursprung eine alte Vorzeitgöttin ist. Als Herrin der Tiere und jugendliche Jägerin symbolisiert Artemis weibliche Aggressivität und wilde, animalische Instinkt- und Triebkräfte (Amazone). Ihr zweiter Aspekt ist die vielbrüstige Göttin der Mutterschaft und Fruchtbarkeit (s. die Statue der Artemis von Ephesos), nährend und schenkend, Göttin der Vegetation und des Lebens, auch symbolisiert in Demeter. Zu ihrer dritten und gnadenlosen Seite, der Greisin, z. B. in Gestalt der Hekate, gehören Krankheit, Tod und damit auch der spirituelle Zugang zur Welt nach dem Tod.
Im jüdisch-christlichen Kulturkreis offenbart sich das Weibliche zunächst in Gestalt der Lilith. Lilith war nach talmudischer Überlieferung Adams erste Frau. Sie war aus Staub gemacht wie er und hielt sich deshalb für ebenbürtig. Deshalb entstand Zank zwischen ihnen, und Lilith flog fort ans Rote Meer. Als sie sich weigerte zurückzukehren, wurde sie von Gott bestraft und wandelte sich zu einer Todesgöttin und einem weiblichen Dämon. Die Gestalt der Lilith geht auf noch ältere Quellen zurück. So sieht man auf einem sumerischen Terrakottarelief (ca. 2000 v. Chr. ) Lilith als Todesgöttin, mit mächtigen Schwingen und Vogelfüßen, begleitet von Löwen und Eulen (die schon die Symbole der neolithischen Todesgöttin waren). Eva symbolisiert als Gebärerin die Urkraft des Schöpferischen. Der Name „Eva“ bedeutet „Mutter aller Lebendigen“ und ist ein im Vorderen Orient gebräuchlicher Titel für die Urmutter. Eva wird im Bunde mit der Schlange zur Ursache der Vertreibung aus dem Paradies. Das Weibliche symbolisiert hier die treibenden Kraft. „Austreibung“ ist eine Phase des Gebärens: die Frucht wird ausgetrieben aus dem Mutterleib, in dem Atmung und Nahrung von selbst gegeben waren. Danach beginnt das Leben, die Arbeit, die Mühe und die Sexualität. In unzähligen Kunstwerken wird Eva als schöne, in ihrer nackten Weiblichkeit verführerische Frau dargestellt. Damit symbolisiert sie auch die weibliche Sexualität in ihrer lustvollen Erotik und Venushaftigkeit.
Die christliche Maria, Gottesgebärerin und Himmelskönigin, heißt auf Hebräisch nach gnostischer Lehre „Mirjam = die vom Meere “, worin sich eine alte weibliche Symbolik zeigt. Maria ist die Gnadenvolle, Reine, Milde und Weiche. Das weibliche Gebären bedeutet bei ihr nicht nur, Neues hervorzubringen, sondern auch: tragen und aushalten können, behüten, hegen (der Hag als umfriedeter Bezirk) und sanfte Mütterlichkeit im Sinne von leiblichem Ernähren, Umhüllen, Schutz und Verständnis. In Maria und mit ihr im Mond, der als altes Weiblichkeitssymbol in der Kunst häufig mit ihr in Verbindung gebracht wird, versinnbildlichen sich weibliche Hingabe und das weiblich-Empfangende (das Frauen auch offen und verletzbar macht) und ein spiritueller Eros. Weibliche Weisheit und Spiritualität, den Weiblichen Gottheiten aller Kulturen inhärent, begegnet uns in der heiligen Sophia. Auch sie ist dreifaltig, denn sie vereint in sich drei Töchter: Glaube, Hoffnung, Liebe. In der „Hagia Sophia “ von Konstantinopel hat sie seit dem 6. Jahrhundert ihr Hauptheiligtum. Weibliche Aggressivität, Sexualität und die harte Bedingungslosigkeit der Todesgöttin sind in Maria nicht zu finden. Weibliche Sexualität wurde im Christentum verbunden mit Schuld und Sühne, was zu einer, zumindest vordergründigen, Körperfeindlichkeit führte: Das Weibliche als Gefäß der Sünde, das im Mittelalter in Gestalt der Hexe dämonisiert, verfolgt und tausendfach getötet wurde. Mit der Hexe (bzw. den weisen, heilkundigen Frauen) verwandt, lebte in der Phantasie der Menschen die Fee als überwiegend hilfreiche weibliche Kraft. In der Figur der Hetäre (griechisch: Gefährtin) oder moderner der Femme fatale ist die weibliche Erotik und Verführung gesellschaftlich akzeptiert, aber hart an der Grenze zum verwerflich Unmoralischen, was dann die Prostituierte (Hure) als Stempel tragen muss. Frauen können den Reichtum und die Energie ihrer Weiblichkeit in deren archetypischer Dreigestalt erspüren, ihre urtümliche weibliche Beziehungsfähigkeit entfalten und auch erkennen, wo sie eventuell in ihrer Weiblichkeit verletzt oder in ihren Potentialen eingeengt sind. Wenn eine Frau ihre Erdhaftigkeit, Körperlichkeit und Erotik nicht leben kann und ihre Kreativität verliert (der Artemis oder Eva-Aspekt), kann sie unzufrieden, depressiv, krank werden (s. z. B. auch Essstörungen). Wenn sie sich nicht abgrenzen und kein bedingungsloses Nein sagen kann (der Hekate oder Lilith-Aspekt), wird sie sich als vielbrüstige Mutter erschöpfen oder sich in zu großer Abhängigkeit verlieren. Wenn sie das Mütterliche (nicht biologisch verstanden), das Nährende und Behütende nicht leben kann (der Demeter oder Maria -Aspekt), besteht die Möglichkeit einer Fixierung als Puella aeterna.
Die Weiblichkeit im Mann und damit der Archetyp der Anima kann den Mann zu Abenteuern und Taten inspirieren, ihn aber auch ins Unglück stürzen und fordert das männliche Ich heraus: Man denke z. B. an die Zauberin Kirke, die Sirenen und die Nymphe Kalypso als verführerische Animagestalten in der Odyssee. Auch in der Anima zeigt sich die Polarität des Weiblichen als Lebensspende und Todbringerin. Weibliche Entwicklungsmärchen, in denen es auch um die Beziehung zwischen Mann und Frau geht, sind z. B. „Die Nixe im Teich “, „Das Mädchen ohne Hände“, „Dornröschen“ oder „Frau Holle“.
Literatur: Standard
Autor: Claus, Waltraud