Nacktheit

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Keyword: Nacktheit

Links: Eros-Prinzip, Identität, Kleidung, Maske, Persona, Paradies, Sexualität, Status, Verkleiden, Wahrheit

Definition: Nackt heißt: ohne Bekleidung oder Bedeckung.

Information: Die sakrale Nacktheit war in der antiken Welt üblich sowohl bei Gebet, Opfer, Totenkult, Tanz, Inkubation (Tempelschlaf), als auch bei Orakelbefragung und Wahrsagung. Nachdem die Nacktheit aus dem Kult verschwunden war, lebte sie im Brauchtum fort, besonders im Liebes- und Fruchtbarkeitszauber. Nacktheit kann jedoch auch ein Ausdruck bitterster Armut und Verlust aller Rechte sein. So wurden z. B. im Mittelalter verurteilte Gesetzesbrecher entkleidet zum Zeichen des Verlustes ihrer gesellschaftlichen Stellung.

In der hinduist., jainist., buddhist. und tantrist. Symbolik bedeutet die Nacktheit „in Raum gehüllt“ zu sein, den Urzustand, die Formlosigkeit und Einfachheit wiedererlangt zu haben. Eine nackte Frau stellt dort die Urmaterie Prakrti dar, die Urnatur und kosmische Macht. Die nackte Kali repräsentiert das Freisein von Illusion; Vollkommenheit und Integrität. Für die Römer hingegen war die Nacktheit ein Zeichen von Schande und Armut.

Interpretation: Die Bedeutung von Nacktheit ist seit alters her wie jedes Symbol mehrdeutig. In Hinblick auf die deutlich hervortretenden sexuellen Körperreize wird Nacktheit mit Verführung, Sinnlichkeit und sexueller Bereitschaft in Verbindung gebracht. Nacktheit ist jedoch auch der natürliche, unschuldige, paradiesische Zustand des Menschen, wie Adam und Eva in Unschuld vor dem Sündenfall nackt waren. Alle Menschen werden nackt geboren. Als Unverhülltheit und Unverstelltheit ist Nacktheit ein Symbol der Reinheit, der Einfachheit, der unverhüllten Realität und der Wahrheit: Man spricht auch von „der nackten Wahrheit“. In Träumen oder in Imaginationen, in denen man nackt ist, geht es weitaus häufiger um diesen ursprünglichen Naturzustand des Menschen, das Unverstellt- Sein, weniger um Verführung und Sexualität.

Nacktheit kann auch mit dem Ablegen der Kleidung als Abstreifen des weltlichen Reichtums und Strebens verstanden werden. Der bewusste Verzicht auf Kleidung, die auch Sinnbild für Weltverhaftetheit sind, ist von daher in religiösen Traditionen Symbol der Askese. In ältesten Zeiten war bei gottesdienstlichen Handlungen völlige Nacktheit des Bittenden und Opfernden erforderlich. Die Entblößung gleicht einem schutzlosen sich ausliefern an die höheren Mächte und sollte diese freundlich stimmen.

„Einem Nackten die Kleider ausziehen“, oder „einem Nackten in die Tasche greifen wollen“, bedeutet sich umsonst bemühen. „Einen Nackten auf die Wache stellen“ meint jemanden mit Aufgaben zu betrauen, die er nicht bewältigen kann. Während in dieser Redewendung die Nacktheit als Zeichen der Schutz- und Wehrlosigkeit verstanden wird, besitzt sie in abergläubischen Vorstellungen eine apotropäische Wirkung: jede Art von Unglück kann vertrieben werden, wenn sich der Mensch dem Unglück bringenden Dämon nackt und bloß zeigt. (HDA VI, Sp. 841, Abs. 9) Vergl. „Jemanden mit dem nackten Arsch ins Gesicht springen“. Der Ausdruck „die nackte Wahrheit“ geht auf eine Stelle im ersten Buch der Oden von Horaz (65- 8 v. Chr.) zurück: Hier heißt es „nuda veritas“.

Rituelle Nacktheit bedeutet aber auch den Wiedereintritt in den paradiesischen Zustand und in die Zeitlosigkeit, wo es kein „Altern“ in der Zeit gibt; sie ist auch das Bloßsein vor Gott, nackt zu sein in ursprünglicher Unschuld und sich nicht zu schämen; die Seele entblößt vom „Gewand der Scham“, vom Körper und vom Selbst, und „gekleidet in ihre eigene Macht“.

Der unverhüllte menschliche Körper in seinem Urzustand ist ohne Fassade und ohne Maske. Er zeigt den Menschen, wie er wirklich ist, sein wahres Ich. Nacktheit bedeutet von daher auch Enthüllung des innersten Wesens, Offenheit, Unverstelltheit, Ehrlichkeit und Hingabefähigkeit, aber auch zu sich, seinem Körper verbunden mit seinen Grundbedürfnissen zu stehen, wie auch der Annahme der animalischen Trieb- und Instinktseite des Menschen. Nacktheit kann Ausdruck von Sinnlichkeit und sexueller Bereitschaft sein. Symbolisch kann Nacktheit und Nacktsein aber auch als natürliche Ursprünglichkeit des Menschen verstanden werden, der sein wahres Wesen und Ich ohne Schutz und Maske zeigt. Mit der Polarität „Nicht bekleidet- nicht nackend“ könnte die Notwendigkeit des Entwickelns einer ausreichend guten Persona im Sinne der Psychologie Jungs angesprochen sein. Die Persona soll ja Mittlerfunktion übernehmen zwischen den eigenen Bedürfnissen, dem Ich-Ideal und den Erfordernissen der Um- und Mitwelt. Einerseits soll die Persona das Individuum gegen Umwelteinflüsse abgrenzen und schützen, andererseits soll sie elastisch und anpassungsfähig sein und einen lebendigen Austausch mit der Umwelt ermöglichen. Sie sollte mit dem Selbst verbunden sein, dadurch authentisch. Bei einer übermäßigen Identifikation hingegen bleibt zu wenig eigene Substanz übrig, der Mensch wirkt unpersönlich, ohne eigene Identität. Bei einer zu wenig entwickelten Persona kann sich der Mensch zuwenig gegenüber Einflüssen und Ansprüchen von außen abgrenzen. Es können soziale Schwierigkeiten wegen mangelnder Anpassung und Akzeptanz entstehen.

Literatur: Standard

Autor: Kuptz-Klimpel, Annette