Kabbala: Unterschied zwischen den Versionen

Aus symbolonline.eu
Zur Navigation springen Zur Suche springen
de>Hermes
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
K (1 Version importiert)
 
(kein Unterschied)

Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr

Keyword: Kabbala

Links: Adam Kadmon, Buchstabe, Lebensbaum, Logos-Prinzip, Mystik, Mystos-Prinzip, Zahl

Definition: Kabbala, wörtlich 'Überlieferung', gilt im allgemeinen als Sammelbezeichnung für die jüdische Mystik und als eine den tieferen Sinn der hebräisch-biblischen Tradition deutende esoterische Lehre, wenngleich historisch betrachtet darunter die jüdische mystische Bewegung zu verstehen ist, die um 1200 n. Chr. aus wesentlich älterem Überlieferungsgut schöpfend in Südfrankreich und Spanien entstanden ist.

Information: Nach der Vertreibung der Juden aus der iberischen Halbinsel fanden viele Kabbalisten u. a. in Palästina, z. B. im obergaliläischen Safed, sowie in Mittel- und Osteuropa Unterschlupf, dort auch in Verbindung mit dem ostjüdischen Chassidismus. Die Blüte kabbalistischer Frömmigkeit dauerte mit unterschiedlichen Darstellungsformen etwa bis zur Zeit der Französischen Revolution bzw. der Aufklärung. Das Interesse an der kabbalistischen Erkenntnissuche verebbte in der Zeit der allgemeinen Emanzipation der Juden. Die wissenschaftliche Erforschung, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Religionshistoriker wie Gershom Scholem (1897-1982) mit beachtenswerten Resultaten eröffnet wurde, enthüllte erstmals eine umfassende Kenntnis von der ebenso weit verzweigten wie vielgestaltigen mystischen Strömung, die bisweilen in deutlichem Gegensatz zum rabbinischen Judentum aufgetreten ist.

Dieser Gegensatz ist unter anderem darin begründet, dass die Kabbala eine besondere, die spirituelle Tiefendimension des Alten Testaments, speziell der Thora (d. h. der fünf Bücher Mosis) und der Schöpfungsgeschichte (Maase Bereschit), zu erschließen beabsichtigt und diese den dafür Gereiften, also in erster Linie einem esoterischen Kreis, zug änglich zu machen strebt. Das ist - abgesehen von der mündlichen Unterweisung durch kabbalistische Meister - anhand eines umfangreichen Schrifttums geschehen, das in die Geheimnisregionen der verborgenen, sich jedoch manifestierenden Gottheit einführen will.

Interpretation: Während En-sof, d. h. der endlose, unbegrenzte Gott in sich ruhender Existenz und damit in völliger Transzendenz verharrt, weshalb auch keine weiteren Aussagen über ihn möglich sind, kennen die Kabbalisten Aspekte der Gottesoffenbarung und deren Zuwendung zu Schöpfung und Menschheit. Diese Aspekte sind personhafter Natur. Der Betrachtung und der Verehrung zug änglich sind diese Aspekte in Gestalt des aus zehn Seinsstufen bestehenden Sefiroth -Baums. Im Gleichnisbild gesprochen verströmt En-sof seine spirituelle Essenz auf diese "Gefäße", mit denen sich Gott offenbart. Es handelt sich um ein Geschehen, das auch in Gestalt des Urmenschen Adam Kadmon anschaubar ist. Von daher gesehen kommt ein ewig-Männliches wie ein ewig-Weibliches zur Darstellung, dass sich auf der Ebene der Sefiroth begegnet und schließlich in Gott selbst vereinigt, aber auch weil Gott mit der Menschheit Gemeinschaft sucht, in besonderer Weise mit Israel als dem Volk der Erwählung. Auf anthropologischer Ebene handelt es sich um die liebende Verbindung von Mann und Frau. Diese Liebesgemeinschaft ist nach kabbalistischem Verständnis in der hebräischen Bibel vorgeprägt, etwa Jesaja 62: "Wie der Bräutigam seine Wonnen an der Braut hat, so wird dein Gott an dir seine Wonne haben." Oder im Rahmen des Sabbat-Kultus, wenn es etwa mit Worten aus dem Hohe Lied Kapitel 7, 12 heißt: "Lecha Dodi, komm, mein Geliebter! - Der Braut entgegen, Königin Sabbat wollen wir empfangen!" Bemerkenswert ist die damit zusammenhängende Vorstellung der Kabbalisten, dass sich Gottes männlicher und weiblicher Aspekt durch Akte religiöser Sammlung (Kawwana) und Hingabe (Dewekut). Im Unterschied zu der in anderen Religionen, auch im Christentum ersehnten höchsten Stufe der mystischen Vereinigung des Menschen mit Gott, ist die jüdische Mystik als vorwiegend theistische und als nicht absorbierend anzusehen."Selbst auf dem höchsten Niveau von Dewekut vereinigt sich der jüdische Mystiker nie mit En-Sof, noch wird er mit den Sefirot identisch. Er behält seine von Gott verschiedene Individualität und Gesondertheit bei. Anstelle der eigenen persönlichen Begegnung strebt der jüdische Mystiker Gottes Vereinigung und Wiederherstellung an. Seine Mystik ist insofern indirekt, als er die Unio mystica in Gott selbst herbeiführt und so in den Genuss des von ihm verursachten Überströmens göttlicher Gnade kommt. Deshalb möchte der jüdische Mystiker die Dynamik verstehen, mit der er Gott zu seinem eigenen Nutzen beeinflussen und vervollkommnen kann. Er strebt also eher mystisches Wissen um Gottes Innenleben an, als dass er dem Göttlichen direkt begegnen will [...] Der jüdische Mystiker vergisst nie, dass seine Taten zwar zum Wohle des Himmels geschehen, die Erde mit all ihrer Pracht aber Sache des Menschen ist." (D. S. Ariel, S. 261 f. )

Das kabbalistische Schrifttum stellt neben dem der hebräischen Bibel und den rabbinischen Werken von Talmud und Mschna ein eigenständiges literarisches Corpus dar, wenngleich dessen Studium und hohe Einschätzung den Trägern der jüdischen Esoterik vorbehalten bleibt. Infolge ihres Sondercharakters stieß diese Form der Mystik wie die theosophische Spekulation Theosophie nicht selten auch deshalb auf Ablehnung, weil man meinte, dass die traditionelle Überlieferung der Bibel bereits die totale Fülle der Gottesoffenbarung umschließe und keine zusätzliche esoterische Deutung nötig habe.

Zu den ältesten hebräisch abgefassten Büchern der frühen jüdischen Mystik gehört Sefer Jezira, das Buch der Schöpfung. Es stammt aus der Zeit vor dem 6. Jahrhundert und wurde in Palästina abgefasst. Gemäß der hohen Einschätzung von hebräischer Sprache, Buchstabe und Zahl im Judentum gelten diese als die maßgeblichen Elemente der verborgenen Gottesweisheit. Zu den 22 Buchstaben treten noch zehn Urprinzipien (Sefiroth) hinzu. - Sefer ha-Bahir, Buch des hellen oder des klaren Lichtes, gilt als das erste uns bekannte Zeugnis der theosophischen Kabbala. Es wurde vermutlich im 12. Jahrhundert teils aus hebräischen, teils aus aramäischen Textteilen zusammengestellt. Es enthält ein an den antiken Gnostizismus erinnerndes Wissen von Gott und den Wesenheiten der oberen Welt. An die als Geheimnis gehütete Lehre von der Seelenwanderung (Gilgul) wird angespielt, ebenso kommt die dem Buch Bahir eigene Gebetsmystik zur Sprache. Im Mittelpunkt steht aber die Lehre von den zehn Kräften (Sefiroth), die von der Gottheit ihren Ausgang nehmen. Die Kabbalisten sind davon überzeugt, dass dieses Wissen bereits in der hebräischen Bibel (Thora) gleichsam keimhaft veranlagt sei.

Als Hauptwerk der Kabbala ist Sefer ha-Sohar, das Buch des Glanzes, anzusehen. Der großenteils aramäisch abgefasste Text ist pseudoepigraphischer Natur, d. h. er verweist zwar auf Rabbi Simon ben Jochai aus dem 1. /2. Jahrhundert, doch wurde der spanische Kabbalist Mose ben Schemtow de Leon (13. Jahrhundert) als Autor bzw. Kompilator ermittelt. Abgeleitet ist das anonyme Buch von dem Propheten Wort (Daniel 12, 3 - nach M. Buber): "Die Begreifenden aber strahlen wie die Strahlen des Gewölbs." Gershom Scholem, der dem Sohar zahlreiche Studien gewidmet hat, rühmt dessen "Strahlungsmächtigkeit", um die religions- und geistesgeschichtliche Bedeutung dieses einflussreichen Werks herauszustellen. Dabei muss auch er zugeben, dass selbst dieses wichtigste Dokument der Kabbala "reichlich unzugänglich und verschlossen" sei. Es unterliegt einer Arkandisziplin.

Eine Besonderheit der Kabbala stellt die Tatsache dar, dass ihr Weistum auch durch christliche Theologen und Philosophen rezipiert und mit christlichen Vorstellungen in Verbindung gebracht wurde, sodass eine eigentümliche "christliche Kabbala" entstand. Das geschah in der Renaissance durch die Humanisten Pico della Mrandola und Johann Reuchlin. Im 17/18. Jahrhundert durch Christian Knorr von Rosenroth. Das theosophische Werk Jakob Böhmes (1575-1624) setzt kabbalistische Kenntnisse voraus und konnte bei seinen theologisch-philosophischen Nachfahren (u. a. Friedrich Christoph Oetinger; Franz von Baader) fortwirken. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die kabbalistische Lehrtafel in der evangelischen Kirche von Bad Teinach/Schwarzwald.

Autor: Wehr, Gerhard

Literatur: Standard