Erleuchtung: Unterschied zwischen den Versionen

Aus symbolonline.eu
Zur Navigation springen Zur Suche springen
de>Hermes
K (hat „Erleuchtung, Erwachen“ nach „Erleuchtung“ verschoben)
 
K (1 Version importiert)
 
(kein Unterschied)

Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr

Keyword: Erleuchtung

Links: Einheit, Initiation, Licht, Liebe, Logos-Prinzip, Weisheit

Definition: Der Begriff Erleuchtung ist vielschichtig: Während der Begriff "enlightenment" im anglo-amerikanischen Sprachraum auch den historischen Prozess der europäischen Aufklärung benennt, bezeichnet Erleuchtung in der deutschen Sprache primär den Endzustand transzendenter Erfahrungssuche. Gemeinsam ist diesen Bedeutungsvarianten, dass Erleuchtung als Zielpunkt zunehmender Bewusstwerdung beschrieben wird.

Information: Als Symbol für Bewusstsein findet sich "Licht" in den wichtigsten Weltreligionen und -mythologien. Einzelmanifestationen des Lichtes dienen dementsprechend als Symbole für den Prozess der Bewusstseinserweiterung bzw. für Transzendenz: die blitzhafte E., die engelhafte Lichtgestalt, die Aureole, der Heiligenschein. Diese Zuschreibungen lassen sich letztlich auf die Immaterialität des Lichts zurückführen, die der Immaterialität des Bewusstseins nahekommt, sowie auf den physiologischen Unterschied zwischen der Dunkelheit des unbewussten Schlafzustandes und der Helligkeit des bewussten Tageszustandes, worauf auch die weitgehende Deckungsgleichheit der Begriffe Erleuchtung und Erwachen (z. B. Buddhas Benennung als "der Erwachte") verweist.

C. G. Jung beschreibt wiederholt religionsübergreifende Parallelen der Erleuchtungserfahrung: So sei z. B. das zen-buddhistische Satori mit Erleuchtung zu übersetzen. Das Satori-Erlebnis verlaufe analog der Erfahrungswege christlicher Mystiker, wie sie z. B. Meister Eckhart vermittle: Erleuchtung entspreche dem Durchbruch eines in der Ichform beschränkten Bewusstseins in die Form des nicht-ichhaften Selbst (Jung, GW 11, p. 540). Erleuchtung stellt in den verschiedenen mystischen Traditionen dementsprechend ein für den Einzelnen erreichbares Lebensziel dar: Erleuchtung steht im Zentrum der Mystik als "Erlebnis, das - als Erlebnis - reale Vereinigung mit dem Absoluten ist" (Jaspers 1985). In dieser Positivität unterscheidet sich Erleuchtung wesentlich vom Leitmotiv "Erlösung" der Hauptkirche, mit seiner negativen Zielsetzung der Freiheit von Sünde und Last des Alltags.

Interessanterweise leitet sich der Begriff "Mystik von "Schließen der Augen" (altgriech. myein) während des Einweihungsritus der sog. Mysterien ab. Auch bestand die Ansicht, Blindheit erleichtere die visionäre innere Schau ("der Seher"). Hierdurch wird auf den introspektiven Aspekt der mystischen Erleuchtungserfahrung verwiesen.

Einen sehr umfassenden metatheoretischen Überblick über Erleuchtung als Lebensziel, im Sinne eines persönlich nachvollziehbaren Individuationsprozesses, bietet Ken Wilber, der sich bereits in seinen frühen Werken maßgeblich auf Jung bezieht: Demnach überliefern die verschiedensten Religionen und metaphysisch-mystischen Philosophien (Buddhismus, Hinduismus, Platon/Plotin, mystisches Christentum) eine einheitliche, emergente Stufenfolge menschlicher Erfahrung, die über Handlungsanweisungen (Injunktionen) den Zugang zu abgrenzbaren, höheren Bewusstseinszuständen bis hin zur Erleuchtung (analog: Satori, Moksha, Nirvana etc.) ermöglichen.

Wilber warnt vor der in spirituellen Kreisen häufigen "Prä"-"Trans"-Verwechslung prärationaler (z. B. magischer, mythischer) und transrationaler (mystischer) Stufen. Kennzeichen der transrationalen Zustände, und damit der Erleuchtung, seien die Eigenschaften Zeitlosigkeit, Liebe, Freiheit von Vermeidungen und Anhaftungen, vollkommenes Akzeptieren und Subjekt/Objekt-Einheit (Wilber 1990). Um diese Zustände zu erreichen, werden in allen Traditionen differenzierte, kontemplative Techniken empfohlen. Grundlage der meisten Techniken ist die meditative Abkehr vom Weltbezug (Schließen der Augen s. o., Stille, graduelle Askese) und die Konzentration des Bewusstseins zunächst auf ein Meditationsobjekt und schließlich auf sich, also das Bewusstsein, selbst. Nach Wilber lassen sich die überlieferten transzendenten Stufenfolgen auf dem Weg zur Erleuchtung, zum Erwachen, metatheoretisch vier emergenten Ebenen zuordnen:

1. Der psychischen Ebene, die auch als der transpersonale Bereich, oder "Über-Seele" möglicher menschlicher Erfahrungswelten beschrieben werden kann.

2. Der subtilen Ebene, die das allen Lebewesen gemeinsame universale Selbst umfaßt, und auf der Seele und Gott sich vereinen.

3. Der kausalen Ebene, in der Seele und Gott in die uranfangliche Identität des formlosen Bewusstseins, in die alles Existierende umfassende höchste Identität eingehen um schließlich

4. den Nicht-Dualen Zustand der "Leere" zu erfahren. Hierbei bezeichnet Leere im adjektivischen Sinne die Abwesenheit aller Dualität und Einzelkonzepte, darf also nicht mit einer nihilistischen Perspektive verwechselt werden, sondern entspricht, positiv formuliert, dem Einheitsgrund (buddhistisch "Soheit", Plotin "das Eine"), aus dem alles Sein entspringt. Das Bewusstsein kann sich, nach Wilber, als eins mit diesen Erfahrungswelten erleben, da die genannten emergenten Stufen jedes Einzelbewusstsein umfassen, und damit dem Einzelbewusstsein in der intuitiven - d. h. unvermittelten - Anschauung zugänglich sind. Der Aufstieg des Bewusstseins zu dieser Einheitserfahrung gehe notwendig mit dem erneuten Abstieg in die Welt einher, denn das Höhere transzendiere zwar das Niedere, aber durchdringe es auch.

Hierzu je ein Beispiel aus der westlichen und der östlichen Metaphysik:

1) Wegweisend für die abendländische Metaphysik ist der Neuplatoniker Plotin, der die ontologische Struktur im asymmetrischen (emergenten) Verhältnis von Einheit und Vielheit bestimmt sieht: "Alles Seiende ist nur, weil und insofern es Einheit ist" (Halfwassen 2004). Der Aufstieg (reflux, Rückehr) zur Einheit, sei dem Menschen möglich, wenn er über das Denken hinausgehe, es übersteige, diese ekstasis ermögliche das "Über-Denken" (hypernoesis), um transzendent im Göttlichen/Einen zu Verweilen (stasis) und dann notwendigerweise wieder abzusteigen (efflux).

2) Das Erleuchtungserlebnis des Zen-Buddhismus, Satori, tritt dagegen plötzlich und unerwartet auf: Der Suchende wird darauf hingeleitet durch intensive Meditation und durch permanente Konfrontation und Irritation mittels paradoxer, alogischer Aufgaben (Koans), die das rational-verbale Denken und die Vergangenheits- und Zukunfts-Anhaftungen (Quellen des Leids) irritieren und destruieren. Hierdurch wird eine bedingungslose Präsenzorientierung ermöglicht, wodurch es dem Bewusstsein gelingt, die Einzelinhalte des Gegenwartsbewusstseins zu transzendieren und zur Einheitserfahrung im Satori zu gelangen. Analog zum plotinschen Prozess des efflux-reflux formuliert ein Zen-Text: "Bevor einer Zen studiert, sind ihm Berge Berge, und Gewässer sind Gewässer. Wenn er aber eine Einsicht in die Wahrheit des Zen bekommt ( [...] ) dann sind ihm Berge nicht mehr Berge und Gewässer keine Gewässer; aber nachmals, wenn er wirklich zum Orte der Ruhe gelang ist, so sind ihm Berge wieder Berge und Gewässer Gewässer." (Suzuki, p. 12)

In einigen populären "esoterischen" Darstellungen wird dieser Weg abgekürzt vermittelt: So wird Erleuchtung z. B. als ruhiges Akzeptieren dessen, was ist (Dyer, 1994) beschrieben, und postuliert "die Suche ist unnötig, das Streben fuhrt zu nichts" (Millman, 1988, p. 244), oder im sog."common-sense Zen-Buddhismus" die Akzeptanz des Alltags als eigentliches Ziel erstrebt (C. Beck 1990). Hierbei wird, der plotinischen Terminologie folgend, der Zustand nach dem Abstieg/efflux zu Gunsten der stasis bevorzugt, bzw. auf den Auf-/ und Abstieg ganz verzichtet. Diese Abkürzung der Reise durch Verweis auf den gleichbleibenden Ausgangspunkt, kommt der populären Illusion eines "Lebens ohne Anstrengungen" (Fromm 1990) entgegen. Analog zu Fromm formulierte bereits Jung in diesem Zusammenhang: "Die Erreichung der Ganzheit fordert den Einsatz des Ganzen. Diese Forderung kann niemand unterbieten, und darum gibt es weder billigere Bedingungen, noch Ersatz, noch Kompromiß." (Jung GW 11, 1995, p. 558).

Interpretation: -

Literatur: Im Text angegeben

Autor: Paetzold, Wolfgang