Zwillinge: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:52 Uhr

Keyword: Zwillinge

Links: Coniunctio, Polarität, Schatten, Symmetrie, Yin und Yang, Zwei

Definition: Zwillinge sind zwei ein- oder zweieiige gleichzeitig ausgetragene Kinder; außerdem wird ein Sternbild am nördlichen Sternenhimmel "Zwillinge" genannt und schließlich werden häufig auch Gegenstände, Lebewesen oder auch Ereignisse, die sich sehr ("zum Verwechseln") ähnlich sind, so bezeichnet.

Information: Als Besonderheit erregten Zwillingsformen von jeher Staunen im Menschen. Verwandt sind Themen der Doppelung, Spiegelung, Symmetrie, des Schattens. Das vormals Eine begegnet als „Dasselbe, aber Zweifache", was sowohl Mehrung als auch Minderung bzw. Differenzierung der Potenz bedeuten kann. Doppelung kann den numinosen Eindruck verstärken. Auffaltung in Zwei bewirkt die Bildung zweier gegensätzlicher Pole in Spannung, die psychodynamisch jeweils rhythmisch wechselndes Gefälle erzeugen (Gefälle der Libido; C. G. Jung, GW 7, § 76ff): „Nur am Gegensatz entzündet sich das Leben" (ebda, § 78).

Interpretation: Bewusstseinsgeschichtlich ist das Auseinandertreten des ungeschiedenen Einen (Uroborischen, Großen Runden, Urmensch bei Platon) in ein Gegensatzpaar von großer Bedeutung. Es symbolisiert Unterscheidungs- und Trennungsmöglichkeit und offenen Raum, bei gleichzeitiger Gewährleistung einer übergreifenden oder impliziten Einheit des Unterschiedenen. Zwillinge symbolisieren paradigmatisch alle Gegensatzpaare, Dualitäten, Polaritäten als spannungsvolle, einander spiegelnde, ergänzende. Mythologische Zwillingspaare können Geschwisterpaare sein und / oder auch Gatten.

Die „Zwillingsnatur" des alchemistischen Mercurius, die „untere" sowie „obere" Extreme umgreift und sowohl Zerteilung als auch Zusammenfügung des zu Wandelnden bewirkt, zeigt sich in vielerlei Paradoxen, z. B. auch im magischen Stein (lapis, Symbol der Gegensatzvereinigung) als „Zwilling oder doppelt" (GW 12, §213) dunkel, schwarz und zugleich strahlend wie ein Spiegel. Auch Christus, alchemistisch gesehen der lapis, ist nach gnostischer Auffassung Bruder des Satans bzw. selbst eine Doppelpersönlichkeit, die „Unteres" (Chaos) und „Oberes" (Pneuma, Geist), durch seine Menschwerdung in sich vereint. Das Menschen-Ich ist Zwilling des Selbst. Das Motiv des mann-weiblichen Androgyn oder der gegensätzlichen Geschwister als Vertreter des Lichtes (Bewusstwerdung) und der Kräfte der Finsternis (Nachtreich, Abspaltung, Unbewusstes) gibt es buchstäblich seit „Menschengedenken", denn das Denkvermögen basiert auf dem Vermögen des Hin und Her zwischen zwei Polen, der Subjekt-Objekt-Trennung, der Projektion und des Symbolisierens. Subjekt und Objekt, Innenwelt und Außenwelt, sind symbolisch gesehen untrennbare Zwillinge; keine Position kann ohne die andere bestehen.

Außer den mythischen Gegensatzpaaren Gilgamesch / Enkidu, Horus / Seth, Prometheus / Epimetheus u. v. a. kennt bereits das Altertum den „Seelenzwilling" des Einzelnen: Jeden Menschen begleitet ein unsichtbarer „Daimon" ein Genius oder Schutzengel, der im warnenden Ich, mahnenden Gewissen erlebt wird. Kinder sind oft noch mit ihrem „himmlischen" Zwilling in gutem Kontakt. In vielen Märchen, Sagen und Mythen der Welt fand der Z. -Archetypus des „alter ego" Gestaltung, seit dem späten Mittelalter in der europ. Literatur gehäuft Motive des Doppelgängers und der täuschenden Verwechslungen. Fichte (1762-1814) öffnete durch seine These der Schöpfung des Ich durch Vorstellung, Imagination, eine Schleuse der Fragen nach der Identität, die seither offen ist.

Der innere Zwiespalt, die Entfremdung zwischen dem funktionalen und dem „wahren" Ich bzw. die Furcht vor der Scheinhaftigkeit aller Persönlichkeit (Persona) zeigt sich besonders in der Romantik im Spiel mit Wachsfiguren (Jean Paul), täuschenden mechanischen Menschenkopien und Gespenster-Zwillingen (E. T. A. Hoffmann), sich verselbständigenden Spiegelbildern oder Schatten (Hoffmann, Tieck, Chamisso u. a.), auch der (abgespaltenen) „Schattenseele" (Wilde: „Dorian Gray", Stevenson, „Dr. Jekyll und Mr. Hyde".). Darin werden Fragen fokussiert einerseits nach Verbleib und Wirkung des Verdrängten, Abgespaltenen, „Bösen", der Projektion auf das oder den Anderen, andererseits nach dem „Eigentlichen", Wesenhaften oder transzendenten Anteil der Seele. Jede Ähnlichkeit des Anderen kann tröstlich oder erschreckend sein, indem sie Zweifel an der eigenen Authentizität und damit am Wert menschlichen Seins überhaupt aufkommen lässt.

Freud sah im Zwilling die Projektion der nicht gelebten, versäumten, darum Schmerz und Schuld verursachenden Möglichkeiten. Im Krankheitsbild der Schizophrenie spaltet sich das Ich-Erleben. Das archetypische Motiv der Zwilling hält die Frage nach dem Verhältnis von Bewusstsein und Unbewusstem, Realität und Idee, Materie und Geist, „Original-Selbst und Pseudo-Selbst" (E. Fromm), Individualität und Vermassung bzw. Austauschbarkeit offen.

In Träumen und Imaginationen können Zwillinge auch eine schöpferische Möglichkeit ungewöhnlichen Ausmaßes bedeuten. Zeitgenössische Themen sind die Reproduktion des Immergleichen, Kopie und Klonbildung. Adorno sah schon 1963 „wimmelnde Zwillingsherden" aus der Retorte voraus, die Science-Fiction-Literatur hat das Thema seit A. Huxleys „Schöner neuer Welt" im Auge, ebenso den Maschinenmenschen. Archetypisch-Zwillingshaftes zeigt sich auch im Bedürfnis nach ständigem Kontakthalten per Handy u. a. Kommunikationstechniken.

Die Zwillinge (lat. gemini) in der Astrologie sind das 3. Zeichen im Jahreslauf und stehen für Differenzierung und Weiterentwicklung von Substanz und Anlagen, die sich im Stier gefestigt haben. Der zugehörige Planet ist Merkur, das Element Luft, die Qualität labil (beweglich). Allgemeine Grundprinzipien sind Beweglichkeit, Inter-esse (= dazwischen sein), Austausch, Mitteilung, Vielfalt, Kommunikation. Das seelische Bedürfnis ist auf Anregung, Umwelterkundung, Erfahrung mit Anderen und geschwisterliche Beziehung aus, desgleichen Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten, intelligente Anwendung derselben. Wie bei den Dioskuren, Kastor (sterblich) und Polydeukes (röm. Pollux, unsterblich), die sich wechselnd im Olymp und im Tartaros treffen, geht die Bildung von Realitätsbewusstsein zwischen archetypischen Extremen hin und her, die in der menschlich-persönlichen Existenz ausgeglichen und geerdet werden müssen.

Schatten: Unstetigkeit, Unverbindlichkeit, Luftschlösser, rastlos zwischen Manie und Depression, Neigung zum Abspalten.

Literatur: Standard

Autor: Romankiewicz, Brigitte