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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:52 Uhr
Keyword: Wort
Links: Buchstabe, Logos-Prinzip, Weisheit
Definition: Wort (ahd. wort, indogerm. Wurzel uer: feierlich sprechen), ursprünglich also feierlich Gesprochenes (Wort, Worte), bezeichnet profan eine isolierbare, Bedeutung tragende, selbstständig verwendbare sprachliche Einheit (Wort, Wörter).
Information: Der zu "Wort, Wörter" synonyme Ausdruck "Begriff" betont das geistige Erfassen des Wortinhalts durch Be- oder Ergreifen, -fühlen oder -tasten. Das Synonym "Ausdruck" betont, dass sich Inneres eines Wortes im Außen zeigt, so wie man einen bestimmten Ausdruck im Gesicht hat.
Interpretation: Das feierlich gesprochene Wort (Worte) ist göttlich, zeugend, schöpferisch, heilig, verbindlich und bindend. Aus ihm entsteht die biblische Schöpfung. Mit "Im Anfang war das Wort, [...] Alle Dinge sind durch dasselbe geworden" greift das Johannesevangelium auf die Genesis zurück ("Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde [...]. Und Gott sprach: Es werde [...]) Psychologisch spiegelt sich in dem biblischen Mythos also, wie Inhalte ins Bewusstsein entwickelt werden und zu leben beginnen, indem sie gedacht, ge- und besprochen werden.
Goethe lässt Faust die jüdisch-christliche Erhöhung des Wortes und des Logos in Frage stellen: "Im Anfang war das Wort" wird zu "Im Anfang war die Tat." "Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen", heißt es an anderer Stelle zur Charakterisierung der Schattenseite des Wortes. Logos findet immer neue Worte für die sich verändernde Welt, neues Wissen, neues Bewusstsein. Ist er isoliert von den anderen Lebensbereichen, gestaltet er manchmal eine leere oder graue Theoriewelt oder eine Scheinwelt. Goethes Mephistopheles weiß: "Mit Worten lässt sich trefflich streiten, Mit Worten ein System bereiten, An Worte lässt sich trefflich glauben ..." und "Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört, es müsse sich dabei auch was denken lassen."
Der Volksmund kennt Menschen, die viele oder große Worte machen, Shakespeare stellt entgegen: "Wo Worte selten, haben sie Gewicht." (König Richard)
G. Benn formuliert den bewusstseinsbildenden und -erweiternden Aspekt des Wortes lyrisch so: "Ein Wort, ein Satz -: aus Chiffren steigen, erkanntes Leben, jäher Sinn, die Sonne steht, die Sphären schweigen und alles ballt sich zu ihm hin [...]. Ein Wort - ein Glanz, ein Flug, ein Feuer, ein Flammenwurf, ein Sternenstrich - und wieder Dunkel, ungeheuer, im leeren Raum um Welt und Ich." (Ins Innere, S. 55)
Aus der Idee der Weltschöpfung durch das Wort entwickelte sich eine erste mystische Etymologie (griech. etymos: wahr; griech. logos: Wort). Die ersten bekannten schriftlich niedergelegten Gedanken zur Etymologie sollten die Rig-Veda verständlicher machen. Die Stoiker in Griechenland entwickelten eine Art Wortnaturalismus, indem sie davon ausgingen, dass zwischen Klang und Bedeutung von Worten ein urtümlicher Zusammenhang vorhanden war. Auch die Kabbala und andere mystische Systeme haben unermüdlich geforscht, um die ganze Kraft und Bedeutung der Sprache zu erarbeiten. Gegenposition dazu ist die Behauptung, es handele sich bei Sprache lediglich um abstrakt festgelegte, konventionelle Zeichen.
In rhetorischen oder komödiantischen Wortspielen, in Sprichwörtern und Redensarten, in den Sprachbildern der Literatur, in der romantischen und symbolistischen Lyrik vor allem, ebenso in Traum, Tagtraum, Imagination, in Situationen herabgesenkter Aufmerksamkeit oder veränderter Bewusstseinszustände durch Müdigkeit, Alkohol, Drogen, besondere emotionale Erfahrungen und plötzlicher Eingebung kann manchmal eine tiefere oder überraschend vielfältige, tiefsinnige neue Bedeutung von Worten nachempfunden und eine Verbindung zum alten und ewigen Wissen der Menschen geschaffen werden. In solchen Augenblicken werden Worte zu Zauberworten, die die Welt neu beleben und erschaffen ("Schläft ein Lied in allen Dingen, Die da träumen fort und fort, Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort." (Eichendorff)
Zauberworte sind Worte in gewisser Weise immer. Sie können jeden möglichen Sachverhalt des menschlichen Lebens angemessen oder falsch codieren und transportieren, erhellen oder verdunkeln, deshalb brauchen sie Decodierung, Dechiffrierung, Interpretation. Keine bewusst erlebte Situation wird ohne Worte erlebt, seien sie treffend unpassend, nichtssagend, zerstörend. Trifft ein Wort einen Komplex, kann es jahrelang tief in der Seele eingegraben sein. Worte von Eltern, Lehrern, Unbekannten oder "den Anderen" können Fluch oder Segen bewirken, destruktiv, einengend oder aufbauend und wegweisend sein. Starke offene, ernste, gute, liebevolle oder tröstende Worte gestalten eine wohltuende Welt. Kein Wort über etwas zu verlieren kann eine ebenso liebevolle wie tabuisierende Geste sein. Im Wort stehen oder ein Ehrenwort geben, ist eine bedeutungsvolle soziale Situation, die man nicht ignorieren kann. Schimpfworte, Schlagworte, Parolen sind Waffen; Definitionen schaffen Klarheit oder Dogmatismus; Befehle meist Macht, Angst und Gewalt. Entlarvend, spottend beschämen Worte, kämpferische Worte ermutigen zur Tat. Worte werden anderen im Mund herumgedreht, man fällt jemand ins Wort, entzieht, verbietet oder erteilt es.
Neue Ereignisse, Fakten, Erfindungen, Entdeckungen bedürfen neuer Wörter; schöpferische Menschen schaffen sich eigene Begriffe, um etwas ganz Spezifisches zu codieren oder sich gegen die vorgegebenen Vorstellungen und Denkkategorien zu wehren und Freiheit zu erringen. Um in die Sprache einer Gruppe oder Sprachgemeinschaft dauerhaft aufgenommen zu werden, muss ein Wort etwas Allgemeines zugleich symbolisch und konkret erfassen. Manchmal wird ein solches Wort das Wort des Jahrhunderts oder zum Un-Wort des Jahres oder Jahrhunderts und charakterisiert eine Epoche.
Die 100 Wörter des 20. Jahrhunderts zeigen zentrale (Komplex-)Inhalte des gesellschaftlichen Lebens in seiner Zeit auf. Es handelt sich in alphabetischer Reihenfolge um folgende Begriffe: Aids, Antibiotikum, Apartheid, Atombombe, Autobahn, Automatisierung, Beat, Beton, Bikini, Blockwart, Bolschewismus, Camping, Comics, Computer, Demokratisierung, Demonstration, Demoskopie, Deportation, Design, Doping, Dritte Welt, Drogen, Eiserner Vorhang, Emanzipation, Energiekrise, Entsorgung, Faschismus, Fernsehen, Film, Fließband, Flugzeug, Freizeit, Führer, Friedensbewegung, Fundamentalismus, Gen, Globalisierung, Holocaust, Image, Inflation, Information, Jeans, Jugendstil, Kalter Krieg, Kaugummi, Klimakatastrophe, Kommunikation, Konzentrationslager, Kreditkarte, Kugelschreiber, Luftkrieg, Mafia, Manipulation, Massenmedien, Molotow-Cocktail, Mondlandung, Oktoberrevolution, Panzer, Perestroika, Pille, Planwirtschaft, Pop, Psychoanalyse, Radar, Radio, Reißverschluss, Relativitätstheorie, Rock n' Roll, Satellit, Säuberung, Schauprozess, Schreibtischtäter, Schwarzarbeit, Schwarzer Freitag, schwul, Selbstverwirklichung, Sex, Soziale Marktwirtschaft, Single, Sport, Sputnik, Star, Stau, Sterbehilfe, Stress, Terrorismus, U-Boot, Umweltschutz, Urknall, Verdrängung, Vitamin, Völkerbund, Völkermord, Volkswagen, Währungsreform, Weltkrieg, Wende, Werbung, Wiedervereinigung, Wolkenkratzer.
Literatur: Standard
Autor: Müller, Anette