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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr
Keyword: Aeon (auch Aion)
Definition: Das gewöhnlich im Plural gebräuchliche Wort für unendlich langer Zeitraum; Ewigkeit wurde im 18. Jh. aus lat. aeon übernommen, das seinerseits auf griech. aion Lebenszeit, Zeitdauer, Ewigkeit zurückgeht.
In der griechischen Literatur bezeichnete Aion das Leben oder die Lebenszeit, übertragen auch eine sehr lange Zeit oder die Ewigkeit. Im medizinischen Kontext war Aion eine Bezeichnung für das Rückenmark (als Lebensnerv).
Information: In der griechischen Philosophie erscheint der Aion zuerst in der Logoslehre des Heraklit: Aion ist ein Knabe, der spielt, die Brettsteine hin und her setzt: einem Knaben gehört die Königsherrschaft.
Mit dem Spiel ist hier die Aufeinanderfolge zyklischer Zeitabschnitte (Tage, Jahreszeiten, Weltalter) gemeint. Das Spiel endet, die Steine werden neu aufgestellt und ein neuer Zyklus beginnt.
Im Gegensatz zur Verwendung bei Heraklit erscheint der Begriff bei Platon in Timaios 37d nicht als Bezeichnung eines Zyklus, sondern als Gegenteil und Gegensatz der zyklisch fortschreitenden Zeit, die Platon mit dem Gott Chronos identifiziert. Der Himmel mit den Bewegungszyklen der Himmelskörper und Sphären ist ein Sinnbild der Ewigkeit, aber eben nicht die Ewigkeit (Aion) selbst.
Bei Aristoteles wird der Aion folgendermaßen beschrieben: Das Telos (die biologische wie geistige Vollendung und Endstufe), welches die Lebenszeit jedes einzelnen umfasst, heißt Aion. In gleicher Weise ist aber auch das Telos des ganzen Himmels (mit den Gestirnen) Aion, ein Wort, das von aei (ewig) gebildet ist, unsterblich und göttlich.
Man hat versucht, Beziehungen der Vorstellung vom Aion bei Plato und Aristoteles zu iranischen Quellen, insbesondere zu Zurvan, der zum Schöpfergott personifizierten Zeit und Ewigkeit in der zurvanistischen Sonderform des Zoroastrismus.
Der Gott der Zeit, das Zeitalter, eine hellenistische Gottheit, Chronos (nicht zu verwechseln mit dem griech. Urgott Kronos!) die Vorstellung einer Raum und Zeit umfassenden Schicksalsmacht stammt aus dem persischen Raum. Aus achämenidischer Zeit stammen Angaben über die zervanitische Religionsanschauung, nach welcher die Magier das intelligible und vereinigte Ganze teils Raum, teils Zeit nennen, woraus die Unterscheidung zwischen einem Guten Gott (Licht), Oromazdes, und einem Bösen Dämon (Finsternis), Areimanios, entstehe. Die vereinigte Gottheit, welche die Gegensätze noch ungeschieden in sich trägt, heißt Zervan (oder Zurvan).
Die Unterscheidung in einen Zervan der Unbegrenzten Zeit (Zurvan akanrarak) und einen Zervan der Langherrschenden Zeit wird heute eher abgelehnt, weil beide als "ápeiros" (unbegrenzt) bezeichnet werden. Hinter dem griechischen Wort Chronos, "Zeit" verbirgt sich wohl der avestische Name Zervan. Im Avesta wird ein Unterschied gemacht zwischen der Unbegrenzten Zeit und der Langherrschenden Zeit (Zaman i kanarakomand), welcher mythologisch die Zeit der Herrschaft des Bösen Geistes (12000 Jahre) umfasst. Durch diese Unterscheidung wird die Selbstentwicklung der Zeitgottheit veranschaulicht, indem aus der Unbegrenzten Zeit (Ewigkeit) die Begrenzte Zeit hervorgeht, in welcher sich das Weltgeschehen abspielt. Nachher kehrt die Begrenzte Zeit wieder in die Unbegrenzte zurück, womit dem Weltendrama ein Ende gesetzt wird. Zervan stellt eher ein abstraktes Prinzip als einen lebendigen Gott dar (deus otiosus), ihm wurde keine kultische Verehrung mit Opfer zuteil. Später überlässt er die Regierung der Welt seinen Zwillingssöhnen. In einem Gedicht des Bundahišn heißt es aber, die Zeit sei mächtiger als die beiden Schöpfungen.
Dieser Schicksalsglaube hat sich bis in die arabisch-islamische Zeit erhalten und ist möglicherweise bestimmend für die hellenistische Aion-Vorstellung (Heimarmene). Anderseits hat sie Einfluss auf buddhistische und manichäische Götter des Ostens, wo Brahma, der Götterkönig zu Zervan wird und der Dualismus erhalten bleibt.
In der Inschrift des Antiochos von Kommagene (69-34 v. Chr.) begegnet Zurvan als Kronos in der Vierheit der Planeten Jupiter, Saturn, Merkur, Venus (sog. Zurvan-Tetras). Nach der Magierlehre bei Dion Chrysostomos (um 40-120 n. Chr.) ist Zurvan der unsichtbare Lenker des den Weltenverlauf darstellenden Viergespanns der Elemente. Serapis wird mit Zurvan identifiziert, ebenso Mithras mit dem Zeitgott Saturn / Kronos / Chronos / Zurvan.
Diese iranischen Vorstellungen verbreiteten sich später im griechisch-hellenistischen Kulturraum. Heraklit, der "Dunkle" (540-480 v. Chr.), sagt, der Aion sei ein spielender Knabe, der die Brettsteine hin- und hersetzt und als solcher die Königsherrschaft ausübe, was C. G. Jung auf seinem berühmten Quader in Bollingen verewigt hat. Nach Platon ist Chronos ein bewegtes Abbild des Aion, der zugleich mit der Welt entstanden sei. Die Griechen empfanden die Fremdheit dieser Vorstellungen, so dass sie im Stammland nicht recht Fuß zu fassen vermochte, hingegen im Hellenismus und der Gnosis aufgenommen wurde.
Zahlreiche Statuen des Aion sind aus dem Mithraskult auf uns gekommen, die einen männlichen Körper mit einem Löwenkopf zeigen, der von einer Schlange, dem Symbol der Zeit spiralförmig umwunden wird. R. Merkelbach (1998) meint, man würde diese Statuen besser als Chronos bezeichnen. Sie steht oft auf einem Globus und ist von zwei sich kreuzenden Reifen, dem Himmelsäquator und dem Zodiacus, umgeben. In der Hand trägt er ein Zepter, das durch eine Spirale mit zwölf Windungen unterteilt ist. Auf einer Statue in Ostia hat er vier Flügel, auf denen die Jahreszeiten angebracht sind. Auf der Statue von Arelate sieht man die Zodiakalzeichen zwischen den Windungen der Schlange.
Der Löwe ist der vierte Weihegrad im Mithraskult, sodass es sich auch um eine Löwenmaske handeln kann.
Das sogenannte Freer-Logion, eine Ergänzung zum Markus-Evangelium (16, 8), bringt ein gnostisierendes Wechselgespräch Jesu mit seinen Jüngern als Auferstandener im Geiste des alt-persischen Zurvanismus: "Dieser Aion (Zeitalter) der Gesetzlosigkeit und des Unglaubens (2 Kor 4, 4)", sagt Jesus, ist unter dem Satan (Eph 2, 2), der durch die unreinen Geister die echte Kraft Gottes nicht erfassen lässt < [ [...] ] Und Christus entgegnete jenen: Erfüllt ist das Maß der Jahre der Macht Satans" (Joh 12, 31; 16, 11) (zit. nach Schneemelcher 1959)
Das Kerygma Petri (H II 15) sagt: "Die gegenwärtige Welt ist zeitlich, die zukünftige dagegen ewig. Zuerst erscheint die Unwissenheit (agnosia), als zweites die Gnosis [...] Denn während die gegenwärtige Welt weiblich ist und wie eine Mutter das Leben der Kinder hervorbringt, ist der zukünftige Äon männlich und erwartet wie ein Vater seine Kinder" (Schneemelcher 1959, II 73).
Jesus Christus wird oft als König der Äonen angesprochen (Paulusakten 2), der von den Toten auferweckt und alle Königreiche unter dem Himmel vernichtet, aber selber in Ewigkeit bestehen wird. Das stimmt mit dem Dualismus der apokalyptischen Aeonenlehre überein, die von zwei Weltenzeiten spricht, dem gegenwärtigen, vorläufigen und vergänglichen und dem kommenden, unvergänglichen und ewigen. Der neue Äon ist transzendenter Art, er kommt ohne menschliches Zutun, durch göttliches Eingreifen, aus dem Jenseits heraus und setzt dieser Weltzeit ein Ende (Dan 2, 34. 44; 7, 11-14. 18). Gleichzeitig erscheint ein "neuer Himmel und eine neue Erde" (äth. Hen 45, 4 f.; 91, 16; Offb. 21, 1), eine "neue Schöpfung" (äth. Hen 72, 1; 4 Esr. 7, 75; syr. Bar 32, 6), deren Merkmale Unvergänglichkeit (4 Esr 7, 31) und Ewigkeit (Dan 2, 44; äth. Hen 91, 17; sl. Hen 65, 7 f.; syr. Bar. 44, 11 f.) sind.
Interpretation: Psychologisch entspricht dies der durch das Selbst regierten Welt, die an ihr Ziel gekommen ist. Denn in den Oden Salomos 7, 11 heißt es von Gott: "Denn Er ist unvergänglich: Die Erfüllung der Äonen und ihr Vater". In Ode 12 verleiht der Höchste Sein Wort und mit ihm Sein Licht und Seine Erkenntnis den Äonen, den Verkündern Seiner Herrlichkeit und Boten Seiner Gedanken, zur Weitergabe an die Welt. (Lattke 1979):
Der neuplatonische Philosoph Damaskios (um 500 in Alexandria) hielt den alexandrinischen Gott der Ewigkeit (Aion) mit Osiris und Adonis für identisch. Sarapis war auch der Gott Aion, wobei der Löwenkopf die Gegenwart und der Kopf des Wolfes die Vergangenheit und jener des Hundes die Zukunft vom dreiköpfigen Kerberos daneben, bedeuten (Merkelbach 1995, S. 77).
In der sogenannten Mithrasliturgie, welche mit Mithras gar nichts zu tun hat, sondern eine Priesterweihe ist, spielt sich die Zeremonie im Tempel als Abbild des Weltalls ab und heißt "Unsterblichwerdung", wobei Aion-Sarapis als Herr über das Schicksal den Initianden unsterblich macht. In der Nacht vom 5. /6. Januar (julianischer Kalender) wird im Heiligtum der Kore (-Isis) zu Alexandria die Geburt des Aion aus der Kore-Persephone gefeiert.
In der hellenistischen Theologie vereinigt Aion als Hypostase des abstrakten unendlichen Raum-Zeitkontinuums, als ein erstes Prinzip und kosmischer Gott, den Begriff der Zeit, des Raumes und der Lebenskraft (Libidosymbol!).
In den hermetischen Texten bedeutet Aion die Dauer und Unsterblichkeit (CH XI, 2), er ist in Gott und der Himmel in ihm, die Zeit im Himmel und die Zukunft in der Zeit (CH XI, 2), der Aion ist bei Gott unbeweglich, der Himmel bewegt sich im Aion, die Zeit vollendet sich im Himmel, die Zukunft wird in der Zeit (CH XI, 2), Gott ist die Quelle, der Aion das Wesen und die Welt die Materie. Die wirkende Kraft ist Aion und das entstandene Werk die Welt (CH XI, 3). Gott ist die Seele des Aion, Aion die Seele des Himmels, der Himmel die Seele der Erde (CH XI, 4) (Festugière 1990)
Außerhalb der Hermetik berichtet JOH. LYDUS (de mens. IV, 1), dass Janus (=Aion) derjenige sei, der das ganze Weltall geschaffen habe und es lenke. MACROBIUS (I 9, 11) sagt, der viergesichtige Janus der Römer stelle die vier Jahreszeiten dar und sei ein kosmischer Gott. Zuerst war er das Chaos, dann eine Kugel (Globus), in welcher sich alle Elemente versammelten. Er ist der Türhüter des Himmels und befindet sich auf der Schwelle zum Himmel mit den Stunden und Jahreszeiten (Festugière 1990, S. 176-177).
In der Gnosis spielt Aion eine Rolle im Apokryphon Johannis des Nag Hammadi Codex (NHC III, 1; BG 2; II, 1; IV, 1). In Codex Jung (NHC I), im fünften Traktat wird der "Gedanke des Logos, der zu seiner Stabilität zurückgekehrt ist und über jene herrscht, die er geschaffen hat" Aion und Ort genannt (NHC I, 5; 92/24). In den chaldäischen Orakeln ist Aion eine Doppelhypostase mit einem oberen Aspekt als Nous, allgemein das Intelligible, und einem unteren Aspekt als sinnliche Wahrnehmung, worin er sich mit der Schlangengöttin Hekate trifft als geistig seelischem Lebensprinzip (Libido) (Lewy, 1978, S. 99, 114, 353, 98)
Im orphischen Hymnus übernimmt Helios die Aion-Qualitäten und erscheint als junger, schöngestalteter, feuerhaariger, mit weißrotem Gewand bekleideter und einem feurigen Kranz geschmückter Gott (IV 635-639) (Fauth, 1995, S. 6)
C. G. Jung hat ein Buch mit dem Titel Aion (GW 9/II) geschrieben, in welchem er der Synchronizität zwischen der Fischsymbolik und dem christlichen Zeitalter nachgeht.
Im hermetischen Traktat (CH XI) ist Aion eine Art Schöpfergott, der das Werden veranlasst. Er ist das wesenhafte Sein Gottes, das immer im Werden ist (creatio continua). Er ist unvergänglich und umfängt den Kosmos.
Literatur: Standard
Autor: Ribi, Alfred