Erstgeburt: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr

Keyword: Erstgeburt

Links: Geburt, Kind

Definition: Der Ausdruck bezieht sich auf das erste Kind, das eine Frau oder ein Muttertier zur Welt bringt. Als besonderes Wunder wird dabei seit jeher verstanden, wenn ein weibliches Wesen einen männlichen Nachkommen zur Welt bringt. Die meisten Eltern wünschen sich daher einen Sohn als Erstgeborenen.

Information: Die patriarchalen Ehegesetze bestimmten den erstgeborenen Sohn als Erben und – in Dynastien – als Nachfolger des Herrschers. Zu den Würdetiteln Christi zählt, er sei der "eingeborene Sohn Gottes", also sein einziger und erster Sohn, und der "Erstgeborene von den Toten". Damit ist gemeint, dass er der erste Mensch sei, der auferstanden ist und damit allen anderen den Zugang in ein Leben nach dem Tod eröffnet. Das Neue Testament nennt Christus auch den "zweiten Adam" und damit den ersten Menschen einer neuen, erlösten Schöpfung. Das Alten Testament enthält noch eine andere Bedeutung der Erstgeborenen: Sie gehören Gott."Mein ist alle Erstgeburt unter den Israeliten, von den Menschen sowohl als vom Vieh" (4. Mose 8, 17)."Du sollst alles, was den Mutterschoß durchbricht, dem Herrn bringen, jeder erste Wurf des Viehs, den du bekommst, gehört, soweit er männlich ist, dem Herrn" (2. Mose 13, 12/13)."Mein ist alle Erstgeburt" (4. Mose 3, 13)."Weihe mir alle Erstgeburt bei den Israeliten, alles, was zuerst den Mutterschoß durchbricht, unter den Menschen und unter dem Vieh; mir gehört es" (2. Mose 13, 2). Darunter ist nicht unbedingt zu verstehen, dass die Erstgeborenen geopfert und getötet wurden, sie wurden aber Gott und dem Tempel geweiht. Es heißt sogar: "Israel ist mein Sohn, mein Erstgeborener" (2. Mose 4, 22) Um das zu erfüllen, wurde einer der israelitischen Stämme, der Stamm Levi, zum Tempeldienst bestimmt, die erstgeborenen Söhne aller andere Stämme mussten durch ein Opfertier ausgelöst werden. Das Menschenopfer wurde im Alten Testament ausdrücklich verurteilt, war in der nichtisraelitischen Religionen aber offenbar nicht unüblich.

Ein Prophet schilt: "Soll ich meinen Erstgeborenen hingeben für meine Sünde, die Frucht meines Leibes als Sühne meiner Seele? - Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert: nichts als Recht üben und Güte lieben und demütig wandeln vor deinem Gott" (Micha 6, 6-8). Diese Weihegesetze machen darauf aufmerksam, dass eine Erstgeburt in früheren Generationen nicht als etwas Naturgegebenes, sondern als ein Gottesgeschenk verstanden wurde."Ich habe einen Sohn bekommen mit Gottes Hilfe" (1. Mose 4, 1), sagt Eva. Um das materielle wie um das geistige Erbe geht es in der Erzählung vom Streit um das Erstgeburtsrecht bei den Zwillingen Jakob und Esau. Auf dem Erstgeborenen lag damit ein besonderer Glanz, aber ebenso eine besondere Verantwortung. An ihn wurden Erwartungen geknüpft, die über die Familie hinaus dem ganzen Volk, der Kultur und Religion einen Neuanfang bringen sollten. Er sollte vergangene Schuld sühnen (die Wörter Sohn und Sühne sind verwandt), er sollte uneingelöste Versprechen erfüllen (der Enkel ist ein kleiner Ahn), und er sollte eine bessere Zeit heraufführen (das Wort "Sohn" ist mit Sonne verwandt, ein Söhnchen). Ungeachtet seiner individuellen Veranlagungen und Neigungen wurde ein Erstgeborener vielfach übergeordneten Interessen und Zielen gewidmet, auch wenn er dabei sein Leben opfern musste. Ihr Schicksal kann von außerordentlicher Dramatik sein."Das erste Kind wird zur geistigen Welt zurückgesandt, um zum Beschützer und Wächter der ganzen Familie zu werden. Es wird die nachfolgenden Kinder zur Erde hinabbegleiten und ihr geistiger Lenker und Freund bleiben" (König, S. 35).

Zahlreiche Märchen schildern ein Gegenbild: Da sind es gerade nicht die erstgeborenen Söhne, die die Aufgaben erfüllen, die im Märchen als erlösend angesehen werden – die tendieren einfach dazu, dem Vater nachzueifern –, da sind es die Drittgeborenen, die Dummlinge, auf denen ein besonderer Glanz liegt und die von weisen Mächten der Natur zum Ziel geleitet werden. Vermutlich spiegeln die Märchen eine archaische, matrizentrische Zeit wieder, in der das Wertesystem anders gewesen ist.

Interpretation: Der Erstgeborene spielt in der Gegenwart vor allem in den viel beachteten aristokratischen Dynastien eine Rolle, während die Erbgesetze im Allgemeinen an Bedeutung verloren haben. Noch in Erinnerung ist das Schicksal von Frauen aus sozial hochgestellten Familien, die nur durch die Geburt eines Sohnes Anerkennung finden konnten, im Falle der Unfruchtbarkeit aber verstoßen worden sind. In Familienchroniken und historischen Romanen liefert dieses Thema immer wieder Erzählstoff. Zahlreiche Biografien aus vergangenen Jahrhunderten zeigen auch, wie erstgeborene Söhne unter den Erwartungen ihrer Väter leiden mussten und sich dem beugten oder nur schwer zu einem individuellen Weg finden konnten. Insgesamt erinnert die Symbolik aber an vergangene Zeiten, sie verblasst. In der Geschwisterfolge fühlen Erstgeborene aber auch heute, dass ihnen ein besonderer Rang und damit zugleich eine Verantwortung zukommt. König meint zu ihren Eltern: "Sie fühlen sich wie von einer Glorie umgeben, die einer Gnade gleich auf sie herabsteigt [...] Dieses Kind, das ihnen als erstes geschenkt wird, ist meist ein wahrhaft Erwartetes und sein Einzug wird so vorbereitet, als gälte es, einen Prinzen oder eine Prinzessin zu empfangen. Mit Innigkeit erwartet, mit Freude begrüßt - und als kostbarster Besitz betrachtet - so beginnt das Leben des erstgeborenen Kindes. Keinem der folgenden Geschwister wird je wieder ein so triumphaler Einzug in das irdische Dasein bereitet werden. Das zweite und das dritte Kind - mögen sie noch so willkommen sein - der strahlende Glanz in den Herzen der Eltern hat allmählich nachgelassen. Das Ereignis der Geburt ist nicht mehr das Außerordentliche, das es beim ersten Mal gewesen ist" (König, S. 334) [...] "Gelobt sei das Schicksal der ersten Kinder! Sie wandeln auf den Spuren der Schöpfung. Das Bildnis des Vater-Gottes ist ihren Stirnen eingeprägt" (König, S. 93).

Erstgeborene bekommen besondere Aufmerksamkeit von ihren Eltern, oft erleiden sie aber auch eine besonders strenge Erziehung. Wenn sie Einzelkinder bleiben, werden sie mehr von Erwachsenen geprägt als von gleichaltrigen Kindern. Wenn mehrere Geschwister folgen, übernehmen sie schon als Kinder elterliche Verantwortung. Erstgeborene Töchter empfinden oft, dass die Eltern eigentlich einen Sohn erwartet haben, und fühlen sich nicht selten unter einem besonderen Leistungsdruck. Die soziale Rolle, die dem Einzelnen in der Geschwisterfolge zugeteilt ist, wirkt auf das ganze weitere Selbstverständnis ein, sie ist Schicksal. Die Erwartungen an den Erstgeborenen spiegeln sich heute oft in der Namensgebung der Kinder, bei der unbewusste und zum Teil archaische Motive zur Geltung kommen. Der Vorname, den die Eltern einem gaben, das gilt natürlich nicht nur für Erstgeborene, kann wie ein Segen und eine Herausforderung wirken, aber auch wie in überhöhter Anspruch. Er fordert in jedem Fall heraus, die eigene Identität zu finden.

Autor: Wöller, Hildegunde

Literatur: Standard, König, 1981