Gebet: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr
Keyword: Gebet
Links: Gottesbild, Imagination, Meditation, Selbst
Definition: Gebet (mhd. gebet, ahd. gibet, zu bitten) ist ein (lautes oder schweigendes) Sprechen mit einer göttlichen, jenseitigen, imaginären, inneren oder unbewussten Instanz (z. B. Engel, Heilige, Verstorbene, Herz, inneres Selbst), um zu verehren, zu danken oder um etwas zu bitten.
Information: Das persönliche Gebet war einst der intime Kern der Religiosität. Es ist ein archetypisches Phänomen; auch die Unterscheidung zwischen gebundenem und freiem Gebet ist überall anzutreffen. Beispiele für gebundene Gebete sind im Christentum das Vater Unser, der Rosenkranz, das Kyrie Eleison der Ostkirche sowie viele Liedstrophen des Gesangbuches oder die Meditation von Bruder Klaus (1417-87): "Mein Herr und mein Gott, nimm alles von mir, was mich hindert zu dir; mein Herr und mein Gott, gib alles mir, was mich fördert zu dir; mein Herr und mein Gott, nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir." Neben dem persönlichen Gebet wird in allen Religionen auch das kollektive Gebet gepflegt; jede Ritengemeinschaft hat einen Stock allgemein bekannter Gebete. Gemeinsam laut vorgetragen, verleihen sie Halt und Geborgenheit, sowohl in der Gruppe der Gläubigen wie auch bei den himmlischen Heerscharen. Das Gebet war eine Quelle von Kraft und Zuversicht. Vor einer Schlacht knieten die Alten Eidgenossen nieder, breiteten ihre Arme weit aus und riefen die Himmelskönigin um Hilfe an (wegen dieser Gebärde spottete man, sie hätten eine "Klafter-Religion"). Das Gebet verlieh ihnen Bärenkräfte; danach waren sie Berserker, die nichts in der Welt vor wildem Dreinschlagen zurückhielt.
Auch der Papst dachte ähnlich über das Gebet, schrieb er doch den Sieg der Christen gegen die Türken in der Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571 der Wirkung des Rosenkranz -Gebetes zu; deswegen wird der 7. Oktober in der kath. Kirche bis heute mit einem Gedenktag gefeiert. Man betete einst vor allen wichtigen Anlässen um Kraft von oben; Sportler bekreuzigen sich heute noch am Start. In der Bibel ist Mose ein gewaltiger Beter: In der Schlacht gegen die Amalekiter siegt Israel so lange, als er seine Arme gen Himmel zu erheben vermag; sobald er sie sinken lässt, erhält Amalek Oberhand. Darum stützen Aaron und Hur die Arme des Moses, und Israel siegt bis zum Sonnenuntergang (2. Mose 17, 11-12). Eine andere Atmosphäre schafft die Anweisung Jesu zum Gebet: "Wenn du betest, geh in dein Kämmerlein, wo du allein bist, und schließe die Türe zu und bete im Verborgenen zu deinem Vater im Himmel" (Matthäus 6, 6).
Interpretation: Was ereignet sich beim Gebet? Im archaischen Weltbild stellte man sich vor, man bete zu jenseitigen Wesen. Mit dem Wegfall des Jenseits wird das Gebet sinnlos. Dies ist der Grund, warum heute viele moderne Menschen das Gebet nicht mehr pflegen. Ist das Gebet als innere Zwiesprache zu verstehen? Zwiesprache mit wem? Viele sind ratlos. Dazu gehört, dass die moderne Theologie große Denker, aber nicht große Beter hervorgebracht hat (Glauben). Die Tiefenpsychologie erkennt im Du, das einst als äußeres Gegenüber zum betenden Ich vorgestellt wurde, das Innerste Du, das Selbst, die Führungsinstanz im Unbewussten. Das Gebet belebt nicht mehr den Pendelverkehr zwischen Himmel und Erde, sondern die Ich-Selbst-Achse. Die alten spirituellen Schulen verfügen über ein nach wie vor wichtiges Knowhow zur Belebung dieser Beziehung; ihre praxis pietatis ist immer noch bedenkenswert, insbesondere "das immerwährende Gebet", die Bemühung, stets mit dem Selbst in Kontakt zu bleiben. Ein zeitgemäßer Ersatz für das persönliche Gebet ist die Aktive Imagination, wie sie in der Analytischen Psychologie genutzt wird.
Ein besonderes Problem bildet die Fürbitte für Andere: Ist sie noch sinnvoll, wenn das Gebet nicht mehr über einen äußeren "Satelliten" erfolgt, sondern in der Zwiesprache mit dem eigenen Seelengrund? Langjährige Erfahrung zeigt, dass positives Gedenken nach wie vor sinnvoll erscheint; es verändert unsere innere Einstellung zum Mitmenschen und zur Umwelt, welche sich über unbewusste lebendige Kanäle vielfach auswirkt.
Literatur: Standard; Kaufmann, R. (1989): Das ewig Christliche; Obrist, W. (1993): Tiefenpsychologie und Theologie.
Autor: Kaufmann, Rolf