Babel: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr
Keyword: Babel (Turm von Babylon)
Links: Abstieg, Aufstieg, Oben, Senkrecht, Turm
Definition: Mit der Erzählung vom Turmbau zu Babel (1. Mose 11, 1-9) schließt die biblische Urgeschichte.
Information: Die Geschichte vom Turmbau zu Babel wurde zurzeit des ersten Tempels in Jerusalem vom sog. Jahwisten verfasst, dem ältesten biblischen Schriftsteller: "Es hatte aber alle Welt einerlei Sprache und einerlei Worte. … Und sie sprachen: Wohlan, lasst uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis in den Himmel reicht; so wollen wir uns ein Denkmal schaffen und uns einen Namen machen!" Doch Jahwe vereitelte dies und verwirrte die Sprache der Menschen in der hochberühmten Stadt am mittleren Euphrat; nun verstand keiner mehr den andern, und sie hörten auf, weiter an ihrem Turm zu bauen. Die Stadt hieß darum Babel bzw. Balel (hebr. balal: verwirren)!
Bab-El hiess aber: "Pforte Gottes" (Bab-Ilu). Seine Zikkurat war ein schwindelerregender Tempelturm, 91, 5 m hoch, ein weltberühmtes Wunderwerk aus bunt glasierten Ziegeln, "gegründet an der Brust der Unterwelt, mit der Spitze bis an den Himmel". Seit dem 3. Jahrtausend trugen die Stufentürme Babels den Namen: "Stätte des Bundes zwischen Himmel und Erde." Die darin vollzogenen Riten verschafften Anteil an diesem Bund.
Dies glossierte und veränderte der Jahwist mit: "Was ist schon Babel vor Jahwe, unserem Gott, der auf dem Zion thront: Balel, Ort der Irrung und Verwirrung!"
Damit setzte der Jahwist den Schlusspunkt unter seine Urgeschichte (1. Mose 2-11), eine Geschichte zunehmender Versündigung und wachsenden Unheils. Begonnen hatte es mit dem Ungehorsam des Urelternpaares. Danach kam der Brudermord Kains. Diesem folgte die Verderbnis der Menschheit, die Jahwe derart erzürnte, dass es ihn reute, sie überhaupt erschaffen zu haben, und dass er gedachte, die ganze Schöpfung in der Sintflut zu ersäufen (1. Mose 6, 5-7). Gekrönt wurde die Urgeschichte der Menschheit nun mit der Schilderung des misslungenen Baus der weltberühmten Zikkurat zu Babel-Balel.
Erst danach begann die Heilsgeschichte, der wirkliche Bund zwischen Himmel und Erde, der Bund zwischen Jahwe und Abram, dem Urvater des 12-Stämme-Reiches, das laut der Nathanweissagung (2. Sam. 7, 13) ewig Bestand haben wird! Nicht die Zikkurat Babels, sondern der Zion in Jerusalem ist Wallfahrtsort der Völker (Jes. 2). Der älteste biblische Schriftsteller hat mit seiner zionistischen Propaganda allerdings nicht verhindern können, dass Jerusalem durch Babylon im Jahre 597 erobert, der Tempel geplündert und die jüdische Oberschicht ins Exil am Euphrat deportiert wurde.
Interpretation: Babel erhält in der biblischen Tradition nur schlechte Noten. Die Urchristen übernahmen dieses negative Bild. In Off. 17 ist Babylon Sitz der antichristlichen Weltmacht (Antichrist), Negativ-Chiffre für Sündhaftigkeit und Hochmut. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel ist auch die dunkle Folie, vor der sich die Pfingstgeschichte (Apg. 2) strahlend abhebt: Der heilige Geist heilt die babylonische Sprachverwirrung.
Die Erzählung vom Turmbau zu Babel wird allgemein als Darstellung menschlichen Hochmuts verstanden. Wer sich ein Denkmal schaffen will, dessen Spitze bis an den Himmel reicht, übernimmt sich wie weiland Ikaros. Das menschliche Bewusstsein ist nicht das Selbst, sondern dessen Einfallstor, Bab-El (Individuation).
Auch die Redewendung von der "babylonischen Sprachverwirrung" stammt aus 1. Mose 11. Sie gilt etwa für das Spezialistentum, wo man einander nicht mehr versteht, weil verschiedene Disziplinen mit demselben Begriff je etwas Anderes bezeichnen. Dem wäre mit interdisziplinärem Dialog abzuhelfen. Aber auch im Alltag und in der Politik herrschen nach wie vor babylonische Sprachverwirrungen.
Literatur: Standard, Kaufmann (2006)
Autor: Kaufmann, Rolf