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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr

Keyword: Göttin

Links: Baum, Bios-Prinzip, Erde, Eros,-Prinzip, Gottesbild, Mond, Mutter, Große, Selbst

Definition: Die weibliche Form und Ausgestaltung des höchsten göttlichen Prinzips

Information: Bilder der Göttlich-Weiblichen sind in den Religionen aller Völker und Kulturen zu finden. Viele Jahrtausende vor Entstehung des Patriarchats bestimmten weibliche Gottesbilder, Muttergottheiten das religiöse Empfinden der Menschen und die kultische Verehrung des Göttlichen.

Interpretation: Das Urbild der Göttin ist die Mutter als schöpferisches Lebensprinzip. In den ältesten Mythen erhebt sie sich und gebiert den Kosmos – die prähellenistische Gaia, die sumerische Namu, die assyrisch-babylonische Ischtar, die chinesische Kuan-Yin. Sie wurden als große Urmütter verehrt und in ihnen das Bild der Frau, die Leben gebiert, in ihrem Körper Nahrung erzeugt, Schutz gibt und für das Leben der Gemeinschaft Sorge trägt.

In den matriarchalen Kulturen sind sie Muttergöttin und Liebesgöttin zugleich, Herrscherinnen auf der Erde, im Himmel und in der Unterwelt.

Die ursprünglich dreigestaltige Göttin wurde als junges Mädchen, reife Frau und alte Greisin gesehen, in den drei Aspekten der Schöpferin, Bewahrerin und Zerstörerin; zugeordnet – entsprechend Geburt, Leben und Tod – den Jahreszeiten Frühling, Sommer und Herbst und Winter, ebenso die Mondphasen des Sichelmonds, Vollmonds und Neumonds.

Auch im christlichen Marienkult lassen sich Hinweise finden, die auf den Mythos einer Ursprungsgöttin und die damit verbundene Jungfrauengeburt verweisen. Die große ägyptische Muttergöttin Isis hält ihren Sohn Osiris im Schoß. Diese Haltung wird von den späteren christlichen Madonnen Darstellungen übernommen. Das weibliche Urbild der Jungfrau z. B. im Bild der römischen Diana meint vor allem Unabhängigkeit und Nicht-verheiratet-Sein. Jungfrauen lebten zugleich im Liebeskult ihre Sexualität. Das Bild der Jungfrau als Göttin symbolisiert den Status einer Frau, die keine vom Mann abgeleitete Identität hat, sondern ein eigenes Selbst- sein.

Die Göttin in dreifacher Gestalt ist in verschiedenen Mythologien auch als Schicksalsweberin, die die Lebensfäden webt, bekannt. Dieses Bild ist eng verbunden mit der kulturellen Erfindung der Frauen, der Kunst des Spinnens und Webens. Die drei Nornen, die Moiren, die Parzen galten als Weberinnen des Lebensfadens, so wie Adern, Muskeln und Nervenstränge zum Körpergewebe im Mutterleib verbunden werden. Klotho spann den Lebensfaden, Lachesis erhielt und schütze ihn, Atropos, die Unabwendbare, durchschnitt ihn wieder. Die weise Alte, der dritte Aspekt der dreifachen Göttin, symbolisiert die bedrohlichen Aspekte der Mutter: Verlassen-werden und Zurückgewiesen-sein, absterbendes Leben und Tod, Rückkehr in den Schoß der Mutter Erde.

Insbesondere im Rahmen der feministisch-theologischen und archäologischen Forschung ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer Wiederentdeckung und Bewusstwerdung des weiblichen Erbes der Göttinnen Traditionen gekommen. Zu den ältesten uns bekannten Zeugnissen gehört der Mythos der großen Göttin Inanna aus der sumerischen Kultur. Inanna (akkadisch: Ischtar, Himmelskönigin) und ihr Abstieg in die Unterwelt zur Göttin Ereschkigal weist Parallelen zum griechischen Demeter-Persephone-Mythos auf. Verehrt wurde sie auch im Morgen- und Abendstern (Venusstern).

Göttinnen Gestalten weisen eine große Vielfalt auf, die Göttin ist "die Eine mit den 1000 Namen", wenn man ihren Spuren in archäologischen Funden, Mythen, Bildern, Skulpturen, Märchen und Symbolen nachgeht. In den frühen prähistorischen Darstellungen sind Göttinnen oft Gebärende mit besonderer Betonung von Brust, Schoß und Vulva.

Zur matriarchalen Symbolik zählen: die Erde, die Höhle, der Kessel, der fruchtbare Garten, der Acker, Quellen und wasserspendende Brunnen, der Lebensbaum, die heilige Hochzeit. In der Tiersymbolik ist es die sich häutende Schlange als Weisheit der Lebenserneuerung, die weiße Taube als Hinweis auf ihre Geistigkeit, später übernommen in der christlichen Symbolik des Heiligen Geistes, die milchspendende Kuh, in Indien bis heute als heiliges Tier verehrt, die webende Spinne. Gold ist ein Symbol der Göttinnen, Aphrodite wird als die Goldbekränzte besungen, "die die Götter mit süßem Sehnen beseligt" (Homer), die ägyptische Hathor als die Goldene verehrt. Der 5. Wochentag, Freitag, erinnert an die germanische Göttin Freya.

Das Aufkommen des Patriarchats hatte die Eliminierung der Göttinnen aus dem Bereich des Himmlischen und des Kultes und eine entsprechende Herabsetzung des Werts und der Stellung der Frauen zur Folge. Spuren des Kampfes zwischen dem Jahwe-Kult und den Göttinnen-Kulten sind auch im Alten Testament zu finden, z. B. im Buch Jeremia.

Als "Wiederkehr" der Göttin beschreibt E. Whitmont die Wiederbelebung des Archetyps der Göttin in einem heutigen Bewusstwerdungsprozess. Damit einher geht ein wiedererwachendes Bewusstsein für die Verbundenheit und Heiligkeit aller Lebensformen der Erde im Zeitalter weitreichender Natur- und Umweltzerstörung.

Insbesondere für heutige Frauen können die Göttinnen inspirierende Selbstsymbole sein, die verschiedene Aspekte von Weiblichkeit spiegeln und Frauen ermöglichen, sich mit ihren eigenen Lebensentwürfen in diesen Symbolen bestätigt zu finden. Dazu lädt z. B. J. Sh. Bolen in ihrem Buch "Göttinnen in jeder Frau" (1996) ein. Göttinnen-Symbole sind zugleich ein Medium für mystische Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis. In einem anonymen Gebetstext spricht die Göttin: "Wenn du das, was du suchst, nicht in dir selbst findest, wirst du es auch niemals außer dir finden. Denn ich bin in dir gewesen von Anbeginn." (Starhawk, Der Hexenkult, S. 292)

Literatur: Standard

Autor: Dorst, Brigitte