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Aktuelle Version vom 19. Oktober 2023, 16:51 Uhr
Keyword: Küche
Links: Bios-Prinzip, Herd, Kessel, Nahrung, Wandlung
Definition: Die Küche ist ein in jedem Haus befindlicher Raum zur Zubereitung von Essen. Große Küchen bzw. Großküchen befinden sich in Gaststätten, Hotels u.a. gastronomischen Einrichtungen. Als Küche bezeichnet man auch eine Art, das Essen zuzubereiten, z. B. die deutsche Küche.
Information: Die Küche (mhd. küchen, ahd. chuhhina, abgeleitet aus lat. coquere: kochen) als Raum und Einrichtung wie auch als Art der Speisen (Mahlzeit, Nahrung) und ihrer Zubereitung spiegelt familiäre, soziale, wirtschaftliche, politische und psychische Verhältnisse und Strukturen. Entstanden ist die Küche als Ort aus der Koch-, Feuer - oder Herdstelle, die häufig auch Ess-, Sitz- und Schlafstelle (Ofenbank) gewesen ist, in einigen frühen Kulturen zugleich Begräbnisstelle. Der Küchentisch ist vermutlich als Gebrauchsmöbel zur Herrichtung und Darbietung von Speisen aus dem kultischen Opfertisch hervorgegangen.
Die Küchengestaltung und die Gestaltung der Kücheneinrichtung und Arbeitsgeräte ist ständigem Wandel unterworfen, spiegelt die Verhältnisse einer Zeit, einer sozialen Schicht, einer Familie etc. Die Küche ist in vielen Zeiten und Lebensformen nicht nur Ort, in dem Nahrungsmittel verarbeitet und zu Speisen gewandelt werden. Oft werden auch die Mahlzeiten in der Küche eingenommen worden, Familien und Wohngemeinschaften treffen sich am Küchentisch etc., so dass die Küche zum ganzheitlichen Arbeits-, Kommunikations-, Nahrungs- und Lebensraum, zum psycho-somatischen, emotionalen und spirituellen Zentrum des Familienlebens geworden ist.
Interpretation: Die Küche könnte als archaischer Raum des mütterlich-weiblichen Wandlungsmysteriums verstanden werden; ihre Gestaltung kann also ein Bild darüber vermitteln, wie es um das mütterlich-weibliche Prinzip in einer Familie, Gemeinschaft, Gesellschaft bestellt ist. Wenn man Gäste hat, steht man manchmal Stunden in der Küche, um alles aufzutischen, was Küche und Keller zu bieten haben. Man hat eine gute, reichliche, fette oder auch eine ärmliche oder magere Küche. Manchmal - wenn es schnell gehen muss - gibt es, eine kalte oder schnelle Küche oder was die Küche hergibt und ab und zu hat die Küche (Hausfrau, Koch oder Küchenpersonal) frei.
Wenn es in einer Familie Streit gibt, kann man die Redewendung hören: Es ist Rauch/Qualm in der Küche. Wenn ein Politiker nicht nur auf seine offiziellen Fachberater hört, sondern auch auf die Meinung seiner Frau oder von Freunden und Verwandten Wert legt, spricht man auch manchmal scherzhaft, manchmal abwertend vom "Küchenkabinett", in dem politische Entscheidungen getroffen werden. Wenn jemand in Teufels Küche kommt, ist er in einer sehr schwierigen Lage. Die Redewendung kommt aus den mittelalterlichen Vorstellungen von der Hölle als einem Ort, in dem die Verdammten gekocht oder gebraten werden. Wer hingegen in eine Hexenküche gerät, ist an einem Ort wilden Aufruhrs, es kann dabei ein emotionaler Zustand gemeint sein oder auch ein Naturphänomen wie ein starker Sturm. Eine anschauliche Beschreibung einer Hexenküche findet sich in Faust I.
In den 50er und 60er Jahre des letzten Jahrhunderts begann die Zeit der Einbauküchen und der kleinen Kochküchen, in denen Herd und Tisch getrennt und der Esstisch aus der Küche verbannt wurde. Darin liegt eine Abwertung der Küche als Ort des Chaos, der Unordnung, der Gerüche, der Arbeit, des Weiblichen, Mütterlichen, des Bios -Prinzips und einer einfachen und ganzheitlichen Lebensauffassung in der patriarchalen und technisierten Wohlstandswelt mit ihrer Trennung, Spezifizierung und Rationalisierung der Lebensbereiche.
Dahinter steht sicher auch der Wunsch, das Essen, diese basale Notwendigkeit des Lebens, in einer angenehm entspannten und wohltuenden, einer sauberen und geordneten Umgebung zu gestalten, es aus der Domäne des Triebes und des Körpers in den Raum der Kultur und des Geistes zu heben, ihm etwas Besonderes, etwas Herrschaftliches, Festliches und Königliches zu geben, es ausreichend zu würdigen und zu ritualisieren. In der Gegenbewegung auf die Architektur und Innenarchitektur der 60iger Jahre deutete sich unter dem Schlagwort "Offenes Wohnen" inzwischen wieder eine Verbindung mit der Welt der Küche an, die parallel auch in den alternativen und ganzheitlichen esoterischen Lebensformen entsteht: Der Küchenraum wird wieder größer und mehr in den Wohnraum mit einbezogen.
Eine Schattenseite der Verbannung des Essens aus der Küche ist die damit oft verbundene Vornehmheit, Angespanntheit, ja Steifheit bei den Mahlzeiten, die sich sowohl auf die körperlich-triebhaften wie auf die emotional-kommunikativen Aspekte und auf den natürlichen Bezug zur Nahrung und Nahrungsbereitung hemmend und störend auswirken kann. Viel über Oralität, Analität und Kommunikation in Familien wird in Kindertherapien deutlich, wenn Kinder ein Puppenhaus einrichten. Lage und Größe der Küche, ihre Verbindung zu den anderen Lebenräumen, ihre Einrichtung, Art und Lage des Sitz-, Ess- und Arbeitsplatzes, die gewählten Küchenutensilien und der bevorzugte Möbel-Stil zeigen Grundbedürfnisse, Erlebnislücken, Konflikte und Vermeidungsstrategien eines Kindes und seiner Familie, schon bevor die Puppen in Aktion treten.
Zur Küche gehört traditionell eine Vorratskammer oder ein Vorratskeller, in den in alten Geschichten hinabgestiegen werden muss. Ein solcher Keller weckt die Fantasien von einem dunklen Mann und anderen mysteriösen und ängstigenden Wesen, die viele Menschen aus ihrer Kindheit kennen. In einer solchen Küche, die in das Dunkel oder in die kälteste Ecke des Hauses führt, ist noch etwas lebendig von dem rituellen und deswegen auch ebenso gefährlichen wie heiligen Herd- und Opferbezirk.
Neben dem Herd/Ofen zur Garung der Speisen gehört die Spüle (heute mit Spülmaschine) als Ort der Reinigung in den Küchenraum, zumindest seit es Wasserleitungen gibt. In alten Geschichten musste die Magd zum Brunnen gehen, um Wasser zum Kochen und Abwaschen zu holen.
In den Märchen ist die Küche häufig der Ort des Kochs, der Küchenjungen und -mägde. Manchmal werden Märchenheldinnen (vgl. Allerleirauh, König Drosselbart) in die Küche oder zum Koch geschickt, um basale Kenntnisse als Küchenhilfe zu erwerben und im Verborgenen oder auch im Schutz der Küche zu reifen. Gegessen wird an der Tafel (vgl. Froschkönig), die man sich im Saal des Märchenschlosses vorstellt. In den Häusern der einfachen Menschen und der Armen befinden sich das Feuer und die Kochstelle im Haus, manchmal in der Stube. Wasser (Brunnen), manchmal auch der Backofen sind außerhalb der Küche. Im Aschenputtelmärchen, das in einer wohlhabenden Bürgerfamilie spielt, ist die Trennung von Küche und Essen mit der Abwertung der Küche und der Küchen- und Hausarbeit deutlich: Aschenputtel wird aus der Stube, in der die Mutter und die Stiefschwester bleiben, hinaus in die Küche geführt. Dort muss es die schwere Arbeit verrichten und ist ausgeschlossen, führt ein "Aschenputteldasein", bleibt aber in Kontakt mit der Weisheit des Großen Mütterlichen.
In Mythen, Märchen, Sagen und anderen Volkserzählungen wird die Küche als abgeschlossener Ort eher selten erwähnt, oft aber das Kochen, der Koch, die Köchin, Küchenmagd und Küchenjunge, der Kessel, die Feuerstelle, der Herd und Backofen bzw. das Backhaus, das Backen, Braten, Kochen, wenn es um die Symbolik des Bios -Prinzips geht. Küchengötter werden nicht beschrieben, wohl aber Herdgötter und außerdem Hexen, Zauberer und Teufel, bei denen das Kochen und Verwandeln eine zentrale Rolle spielen.
Ein besonderer Ort der Verwandlung ist das einer Hexenküche oder einem Zaubererschloss ähnliche alchemistische Labor, in dem der alchemistische Ofen, das Feuer und das Kochen eine zentrale Rolle spielen, das aber zugleich ein ganzheitlich eingerichteter Lebensraum ist. Zu ihm gehört auch die Bücherwand bzw. der Ort des Bücherstudiums, ein Ort der Meditation, Ruhe, Entspannung und Anbetung, Ebenso gibt es eine Stelle, in der mit Wasser hantiert werden kann, weil das Wasser als Lebens- und Todeswasser, die Solutio, die Abwaschung und das reinigende Bad unabdingbar zum Prozess gehören.
Faust, Gelehrter und Alchemist, der, wie er zu Beginn der Szene "Hexenküche" in Faust I selber sagt, der "Sudelköcherei" abgeschworen hat, muss in eine Hexenküche, um sich verjüngen zu lassen (vgl. Goethe, Faust, Erster Teil: Hexenküche). Zunächst möchte er mit der Hexenküche nichts zu tun haben, da er aber nicht bereit ist, statt dessen körperliche und bäuerliche Arbeit zu tun, weil sie ihm "zu eng" erscheint, er also in seiner Logos-Einseitigkeit bleiben will, muss er sich der schwarzen Magie der Hexenküche unterwerfen, um Kontakt zum Großen Weiblichen aufzunehmen. Als moderne Abart von Hexenküche bzw. alchemistischem Labor kann die Drogenküche verstanden werden, in der synthetische Drogen illegal gekocht oder gebraut werden.
Psychologisch ist die Küche, wie Feuer, Herd, Backen und Kochen zum Symbol der Wandlung, auch der magischen Wandlung, der Magie und des alchemistischen Prozesses im weitesten Sinne geworden. Die Küche ist ein Ort der weiblichen Macht und der weiblichen Ur-Mysterien, hier wird die dringend benötigte Lebensspeise, das Brot des Lebens, zubereitet, bzw. Natur in Nahrung, Trank und Geborgenheit verwandelt. Das spiegelt sich u. a. in der niederländischen und spanischen Malerei des 16. und 17. Jh. wider, in denen Stillleben mit Nahrungsmitteln in der Küche, auf dem Küchentisch und mit in der Küche beschäftigten Frauen beliebt waren. (J. Vermeer: Die Küchenmagd, 1658, Rijksmuseum Amsterdam)
Viele Menschen haben die Erinnerung an die Küche als Ort, in den man zurückkehrt aus der Außenwelt und ihren Anforderungen, ihren Erfolgen und Misserfolgen und in dem man davon berichtet, wie es einem in dieser Welt geht. Man bekommt ein stärkendes Brot, einen wärmenden Kakao oder einen belebenden Kaffee in dieser Küche, und man bekommt Gespräch, Lob und Kritik, Trost und Zuspruch. Der Küchentisch, die Gespräche und die Atmosphäre an ihm können auf die unterschiedlichste Weise positiv und negativ aufgeladen sein. In der Küche seine Schularbeiten zu machen, kann Zeichen von mangelnder Autonomie eines Kindes sein, aber auch Ausdruck davon, dass ein Kind die Atmosphäre des Lebensraums Küche als für das Lernen motivierender, anregender, offener, lockerer, kreativer, sinnlicher und kommunikativer empfindet, als sein Zimmer mit Schreibtisch, Bett und Spielsachen. Kindertherapiezimmer enthalten deshalb häufig Küchenelemente, die zugleich auch Wandlungselemente und alchemistische Symbole darstellen: eine Feuer - und Kochstelle, Wasser und Erde (Sand und Ton), eine Ruheecke, ein Tisch mit Sitzmöglichkeit, auch zum Malen, Lesen, Spielen und Schreiben geeignet, eine Bücherecke.
Die Küche ist in Träumen manchmal ein geheimnisvoller oder unheimlicher Ort, versehen mit allerlei Hexengerätschaft und Zaubermitteln. In der Küche und im Bereich des Oralen, der Symbiose und der Großen Mutter kann ein Mensch gebannt und festgehalten sein. Manchmal muss im Traum ein Weg in die Küche gefunden oder es muss zur Küche zurückgekehrt werden, d.h. es muss eine Regression in einen dunklen, in einen natürlichen, einen ursprünglichen, einfachen und zugleich "mysteriösen Wandlungsraum" stattfinden, um den Kontakt zum vernachlässigten Bios- und Eros-Prinzip wieder aufzunehmen und dadurch einen neuen Weg zum Heros- und Logos-Prinzip zu entwickeln. Faust zeigt diesen Weg symbolhaft: Der Hexentrank bringt ihn über Eros und Sexualität letztlich in das Reich der Mütter, bevor kreative und heroische Tat und neue Weisheit möglich sind.
In anderen Zusammenhängen findet man angedeutet, dass die Küche ein weiblicher, ein triebhafter und ein sexueller Bereich ist. In seiner Bildergeschichte "Die fromme Helene" dichtet W. Busch: "[...] Doch jeder Jüngling hat wohl mal 'n Hang fürs Küchenpersonal [...]" Gerade im steifen viktorianischen Zeitalter und in allen sozialen Situationen, in denen zu viel Zivilisation und Kultur die Natur in Ketten legen, scheint es eine verborgene und zugleich geduldete Sitte gewesen zu sein, Sexualität heimlich "mit dem Küchenpersonal" auszuleben. Verschiedene Küchenutensilien können darüber hinaus sexuelle Bedeutung bekommen, Backtrog und Backofen werden u. a. als Symbol für Fruchtbarkeit und Schwangerschaft gesehen, und nicht selten wird in modernen amerikanischen Filmen eine Sex-Szene in der Küche, auf dem -tisch oder -boden gezeigt.
Manchmal ist die Küche in Traum, Fantasie, Spiel und Gestalten unaufgeräumt, sogar chaotisch und schmutzig, manchmal klinisch rein. Dann kann das bewusste Ich erleben, wie es sich gegenüber seiner Oralität, seiner Kreativität und Gestaltungsfähigkeit, seiner Weiblichkeit und Mütterlichkeit fühlt und was ihm davon nottut. Es kann den Eindruck haben, endlich die unbewältigte Arbeit oder das, was schon lange liegt und sich auftürmt, das schöpferische innere Chaos oder die innere Unordnung in Angriff nehmen zu müssen, zu können oder auch nicht zu können. Vielleicht war es zu lange in einem symbiotisch-regressiven Zustand und muss nun heroisch aufräumen. Vielleicht war es zu lange nicht in seiner Küche, wie Faust. Vielleicht hat es zu lange den Kontakt mit den Mysterien des Weiblichen, mit dem Mysterium der körperlichen und natürlichen Wandlungserfahrungen und mit denen der geistigen Wandlung vermieden.
Essgestörte Menschen haben häufig besonders intensive Erfahrungen mit der Küche als einem konflikthaften, traumatisierenden oder einem regressiv-symbiotischen Ort und erleben positive Fantasien zur Küche verbunden mit einer heilenden Rückkehr zu den positiven Energien der Küche und der Wandlung.
Literatur: Standard
Autor: Müller, Anette